Liesborn (mw). Durch einen schwarzen Vorhang betritt man den ersten Ausstellungsraum und merkt dadurch gleich: Hier tauchen wir in das Dunkel der spätmittelalterlichen Geschichte ab. So fremd uns die Welt vor mehr als 500 Jahren auch erscheint, für das Kloster Liesborn war das „finstere Mittelalter“ eine herausragende Blütezeit: Unter den Äbten Heinrich von Kleve (1464-1490) und Johannes Schmalebecker (1490-1522) wurde die neu errichtete Klosterkirche reich mit geschmückten Altären und liturgischen Geräten ausgestattet. Auch die Klosterbibliothek wurde enorm erweitert und es waren insbesondere historische Werke, wie die 1493 veröffentlichte Weltchronik des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel, die ihren Weg in die Regale fanden.
Diese Neuerwerbungen gingen wohl maßgeblich auf die Initiative eines Mannes zurück: Den Mönch Bernhard Witte, der um 1500 die erste zusammenfassende Geschichtsdarstellung Westfalens verfasste. Im Jubiläumsjahr „1250 Jahre Westfalen“ wird das lange Zeit als verschollen gegoltene Originalmanuskript dieser „Westfalengeschichte“ (Historia Westphaliae) nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Besucherinnen und Besucher gelangen in drei Schritten zur Handschrift: In einem ersten dunkelblauen Raum erleben sie Objekte aus dem Liesborner Kloster, die in der Zeit entstanden, als Bernhard Witte dort lebte und wirkte. Im zweiten, dunkelrot gehaltenen Raum erfahren sie die christliche Geisteswelt des Spätmittelalters, die von innerer Einkehr (devotio moderna) bestimmt und von der auch Witte geprägt war. Ein klappbares Modell (1:2) präsentiert hier den heute nicht mehr komplett erhaltenen Liesborner Hochaltar mit Reproduktionen der noch vorhandenen Tafeln, die sich in der National Gallery in London und dem LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster befinden. Der vom sogenannten „Meister von Liesborn“ gestaltete Altar entstand zu Wittes Lebzeiten. Der dritte lindgrüne Raum beschäftigt sich dann mit der Person von Bernhard Witte, von dem sich neben seinem literarischen Wirken auch Spuren in den Urkunden und Rechnungsbüchern der Abtei finden lassen.
Das zentrale Objekt – die Handschrift von Bernhard Witte – befindet sich in einer Altarvitrine in der Mitte des Raumes. Zu ihr führt eine „Bücherspur“ von Werken, die der Autor bei seiner Abfassung der Chronik benutzt hat, und von ihr weg Publikationen des 16. bis 18. Jahrhunderts, die auf dieses Geschichtswerk in späteren Zeiten Bezug nahmen. „Auf diese Weise soll deutlich werden, dass Bernhard Witte nicht für sich alleinsteht“, erläutert Museumsleiter Dr. Sebastian Steinbach, „Er ist Teil einer Reihe von Werken, in denen der geographische Raum Westfalen und die Menschen, die hier lebten, immer wieder neu gedacht und verstanden wurden.“

Gleich zur Eröffnung der Ausstellung „Die Erfindung Westfalens – Bernhard Wittes Historia Westphaliae und das Kloster Liesborn um 1500“ am 27. April gibt es deshalb ab 10 Uhr ein Kolloquium, bei dem namhafte Wissenschaftler wie Prof. Dr. Matthias Becher von der Universität Bonn, Dr. Stefan Pätzold vom Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr und Prof. Dr. Mark Mersiowsky von der Universität Stuttgart die Entwicklung des Westfalen-Begriffs vom 9. bis zum 13. Jahrhundert in ihren Vorträgen thematisieren, bevor sich um 15 Uhr die Pforten der Ausstellung öffnen. Einen tiefergehenden Einblick in das mittelalterliche Geschichtswerk eröffnet die „Digitale Liesborner Klosterbibliothek“, in der man an einem virtuellen Lesepult durch die Handschrift (1500) und den Druck (1778) blättern kann. Über den Touchscreen kann man „digitale Kapitelbändchen“ greifen und wird so zu wichtigen Passagen der Handschrift mit weiterführenden Informationen geleitet. Für die Zukunft ist auch eine historisch-kritische Edition in Buchform dieses für die Geschichte Westfalens so bedeutsamen Textes geplant, für die derzeit noch Förderer gesucht werden.
Die Ausstellung, die vom 27. April bis 19. Oktober 2025 in den Räumlichkeiten der ehemaligen Benediktinerabtei in Liesborn zu sehen ist, wurde von der LWL-Kulturstiftung, der Stiftung der Sparkasse Münsterland Ost und den Freunden des Museums Abtei Liesborn gefördert. Das Eröffnungskolloquium unterstützt die Bürgerstiftung Wadersloh. Der Eintritt ist frei und begleitet wird die Ausstellung zudem von einem bunten museumspädagogischen Rahmenprogramm für kleine und große Besucherinnen und Besucher. Außerdem erscheint eine reich bebilderte Ausstellungsbroschüre mit zahlreichen Hintergrundinformationen zur „Westfalengeschichte“, die in der Ausstellung erworben werden kann.
Quelle: Museum Abtei Liesborn, Fotos: Mara Woltering