Liesborn (mw/bb). Der Ratssaal ist voll am Montagabend. Im Rathaus an der Liesborner Straße in Wadersloh warten etliche Tagesordnungspunkte auf abschließende Beratungen. Mitteilungs- und Beschlussvorlagen werden abgearbeitet. Ein Punkt steht nicht auf der Tagesordnung, kommt aber dennoch kurz zur Sprache: Das Fitnessstudio „Kraftvoll“. Ein Ratsmitglied weist auf die baldige Schließung hin. In unserer MW-Reportage ergründen wir, warum diese so viele Menschen bewegt.
Ortswechsel: Das St. Josef-Haus (Königstraße) und die Geschichte des „Kraftvoll“
St. Josef-Haus-Geschäftsführer Reinhold Winkelhorst sitzt in seinem Büro. Vor ihm liegt ein gedrucktes Booklet mit Informationen zu dem Gebäude an der Lippstädter Straße, an dem an der Fassade „Kraftvoll“ zu lesen ist und seit rund zehn Jahren in Besitz des St. Josef-Hauses ist.
„Das war früher ein Großraumbüro der Kemper-Werke. Und dann viele Jahre schon ein Fitnessstudio. Im Zuge des Neubaus des Simoenhauses haben wir das Gebäude dann erworben“, sagt Winkelhorst mit Blick auf die schwarz-weißen Abbildungen in dem Heftchen. So wie viele der dort abgebildeten Gebäude soll auch das „Kraftvoll“ bald Geschichte sein. Zumindest was die Nutzung als Fitnessstudio angeht.
Ursprünglich war immer der Plan, dass das „Kraftvoll“ ein Angebot ist „bei dem sich Menschen mit und ohne Behinderung auf Augenhöhe begegnen“ – so steht es auf der Internetseite des St. Josef- Hauses Liesborn, das als Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit psychischer oder neurologischer Erkrankung sowie der spezialisierten Versorgung von Menschen mit der Huntingtonerkrankung damit ein besonderes Bewegungs-Angebot für die Tagesstruktur geschaffen hat.
Erneuter Ortswechsel: Das „Kraftvoll“ an der Kemperstraße 1, rund 400 Meter vom St. Josef-Haus entfernt
Von außen eher unscheinbar. Der Bau ist aus den 1960er-Jahren und etwas in die Jahre gekommen. Beim Betreten fällt auf: Der äußere Eindruck täuscht. Im Innern wirken die Räume eher modern. Zuletzt renoviert im Jahr 2017. Trainingsgeräte stehen im größten der Räume. Laufbänder, Ellipsentrainer, Hantelbänke in einem der kleineren Räume, Sanitäranlagen. Ein kleines, aber feines Angebot für Ausdauer- und Krafttraining.

Aber es gehört noch eine weitere Komponente dazu. Vera Kleinevoß aus Wadersloh betritt das Gebäude. Hier kommt es zu einer Zufallsbegegnung mit dem Autor dieser Zeilen, die nachfolgend beschreiben, warum das „Kraftvoll“ nicht „nur“ ein Gebäude ist. Die 85-jährige ist seit rund zwei Jahren jeden Tag hier vor Ort. Sie gehört zu den älteren der rund 100 Personen, die das „Kraftvoll“ nutzen. Viele sind von Anfang an schon dabei, schätzen das familiäre Ambiente hier. Bis Ende April wird Vera wohl weiterhin noch jeden Tag kommen. Zum Trainieren, aber vor allem, um zu reden: Mit den Mitarbeiterinnen und den anderen Nutzerinnen und Nutzer.




Zurück zum St. Josef-Haus: Warum es keine Perspektive gibt…
Reinhold Winkelhorst erläutert die Gründe, die zur geplanten Schließung des „Kraftvoll“ geführt haben. In den vergangenen Jahren habe die grundsätzliche Mobilität der Bewohnerinnen und Bewohner abgenommen. Das wiederum führte dazu, dass das Angebot des „Kraftvoll“ immer weniger in Anspruch genommen wurde. „Als Einrichtung haben wir den primären Auftrag, die Bewohnerinnen und Bewohner zu versorgen und dafür die passenden Rahmenbedingungen zu schaffen“, erläutert Winkelhorst. Mit den Kostensteigerungen der pflegebedingten Aufwendungen würden Angehörige heutzutage genauer abwägen und Erkrankte möglichst lange in der eigenen, häuslichen Umgebung betreuen. Die Entwicklung zeigt den Trend zu steigenden Kosten in der Pflege und insbesondere bei Eigenanteilen.
In Bezug auf das „Kraftvoll“ sind es hohe Betriebskosten und die Tatsache, dass es sich um ein altes Gebäude handelt, ursächlich für die Überlegungen, den Betrieb dort zum 30. April 2025 einzustellen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, denn eine Sanierung wäre nicht umsetzbar: „Seit dem Frühjahr 2024 planen wir die Schließung. Das hängt auch mit dem Zustand des Kellers, des Dach und der in die Jahre gekommenen Trainingsgeräte zusammen“, sagt Reinhold Winkelhorst. „Es ist nicht mehr wirtschaftlich. Wir sehen aktuell leider keine Perspektive.“
Zurück im „Kraftvoll“: „Man kümmert sich umeinander.“
Vera Kleinevoß unterhält sich mit Dagmar Winkelnkemper, neben Helena Kupsch und Susanne Bubic eine von drei Mitarbeiterinnen des Fitnessstudios, über die baldige Schließung. Auf dem Tresen im Eingangsbereich liegt ein Din-A4-Zettel, der zur „Abschiedsparty“ Ende April einlädt. Auf dem Zettel heißt es zu dem „ungewollten Ende“, man wolle die gemeinsame Zeit gebührend ausklingen lassen. Den Körper gemeinsam fit halten, Austausch mit schönen und ehrlichen Worten, viele Späße, wertvolle (neue) Begegnungen, gemeinsame Motivation zum Sport.

Vor allem für ältere Mitbürgerinnen und -bürger wie Vera ist das „Kraftvoll“ nicht nur ein Fitnessstudio, sondern auch ein wertvoller Ort der Begegnung mit anderen. „Das kriegt man nirgendwo“, sagt die Wadersloherin und zählt die Vorzüge hier auf: „Das Besondere ist, dass hier eine nette Gemeinschaft ist. Man kümmert sich umeinander. Die Schließung macht mich und andere schon traurig.“ Ein Stündchen Austausch gegen die Einsamkeit. Das ist etwas, was vor allem für ältere Menschen wichtig ist. Die zwei Jahre im „Kraftvoll“ bezeichnet die Waderloherin im Hinblick auf ihre täglichen Besuche als „das Beste, was mir passieren konnte.“ Denen, den die Einrichtung und die Menschen darin wichtig sind, haben grundsätzlich Verständnis dafür, dass langfristig eine Lösung hätte gefunden werden müssen. Dass ihnen dieser Ort am Herzen liegt, ist offensichtlich.
Was vom „Kraftvoll“ bleiben wird …
Die Sanierungsfähigkeit des „Kraftvoll“ ist fraglich – daran besteht wohl kein Zweifel. Eventuell könnte das Gebäude an der Kemperstraße eines Tages abgerissen werden. Konkrete Planungen gibt es dazu derzeit noch nicht. Fest steht jedoch: Ende April schließt das Fitnessstudio seine Türen.
Was dabei nicht untergehen darf: Was das St. Josef-Haus in den vergangenen zehn Jahren mit dem „Kraftvoll“ geleistet hat, ist bemerkenswert: Ein Ort der Inklusion, der Bewegung und des Miteinanders ist keine Selbstverständlichkeit in Zeiten knapper Kassen. Ein Kapitel endet, aber das Engagement für die Gemeinschaft bleibt. Das Erreichen der Grenze zu diesem Zeitpunkt zeigt das Verantwortungsbewusstsein der Entscheider. Das Gebäude an der Kemperstraße 1 ist ein Teil der St. Josef-Haus-Familie – mit dem erklärten Ziel, Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen zusammenzubringen. Das war und ist ein moderner Ansatz, der Raum schafft, in dem sich alle Menschen wohlfühlen und begegnen können. Neben den Bewohnerinnen und Bewohner des St. Josef-Hauses haben auch Menschen wie Vera Kleinevoß hier neue Kontakte geknüpft.

Auch wenn das „Kraftvoll“ schließt, endet das Engagement des St. Josef-Hauses für solche Angebote damit nicht. Im Gegenteil: Man bleibt nah an den Menschen. Mit dem Ludgerushaus oder auch dem Sinnespark gibt es weiterhin wertvolle Begegnungsstätten für die Menschen in Liesborn. Nur leider ohne die Fitnessgeräte, die neben Begegnung auch Bewegung ermöglicht haben. Vielleicht bietet der Abschied vom „Kraftvoll“ auch Raum für neue Konzepte: Angebote, die Bewegung, Begegnung und Gemeinschaft über Altersgrenzen hinweg fördern. Denn was hier entstanden ist, war mehr als ein Fitnessstudio: Es war für viele ein Stück Zuhause.
Fotos/Text: B. Brüggenthies
Für die Erstellung dieser Reportage sind 5 Stunden Arbeit angefallen. MW finanziert sich nahezu ausschließlich durch Unterstützerbeiträge der Leserinnen und Leser. Bitte helfen Sie mir, dass auch zukünftig wichtige Geschichten wie diese erzählt werden können. UNTERSTÜTZERAKTION 2025
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