Wadersloh (mw/bb). Rund 30 Minuten vor dem offiziellen Konzertbeginn bilden sich lange Schlangen vor den beiden Eingängen zur Aula des Johanneums. Ein wenig sieht es so aus, als wären es Wurzeln. Wie passend, dass das anstehende Musik-Großevent „Back to the Roots“ heißt – Zurück zu den Wurzeln. Die 100 Jahre Schulbestehen feiert das Johanneum mit einem ganzen Veranstaltungsreigen. Zurück zu den Wurzeln kommt an diesem Abend Chorleiter Raul Huesca Valverde. Vor rund 10 Jahren war an seiner damaligen Schule die Idee zur Gründung des heutigen Mehr-Generationen-Chores Diestedde entstanden. Das musikalische „Comeback“ konnte sich sehen und hören lassen!
Wenn man – wie der Autor dieser Zeilen – in einer Gärtnerei aufwächst, weiß man, dass es eine ganze Zeit dauert, bis aus einem Samenkorn eine fertige Pflanze entsteht. Erde, Wasser, Sorgfalt, etwas Dünger und viel Geduld bedarf es, damit etwas kultiviert werden kann. Das alles war dem 2015er-Raul Huesca Valverde bewusst. Er wollte unbedingt ein 5. Abiturfach belegen. Eine besondere Lernleistung im Fach Musik. Seine begleitenden Lehrer Guido Geimer und Martin Große Hundrup waren angetan und unterstützten die ambitionierten Pläne des angehenden Abiturienten aus Stromberg. 2016 war es dann soweit: Ein stimmgewaltiger Chor aus rund 50 Mitgliedern jeden Alters sorgte für Gänsehautmomente.
Rund 10 Jahre später sind viele von ihnen wieder auf der Bühne. Raul Huesca Valverde gelang das Meisterstück, den MGC Diestedde weiterzuführen. Unter dem Dach des Musikvereins Musikus ist etwas Bleibendes entstanden, dass bis heute viele (musikalische) Früchte trägt. Vielleicht passte dieses Konzert deswegen so gut in das Jubiläumsjahr des Gymnasiums Johanneums. Bei den gespannt wartenden Konzertgästen, die den Blick in Richtung Bühne warfen, um den Einlauf des hundert Personen starken Chores zu erwarten, huschten auch neugierige Blicke der damaligen Lehrer nach vorn, die seinerzeit den Mut ihres Schülers bewunderten, an ihn glaubten und in seinem Vorhaben bekräftigten.
Schulleiter Wolfram Wenner begrüßte die Gäste und zeichnete den Werdegang des einstigen Schülers und die Geschichte des Chores nach. Dann aber war die Wartezeit vorbei: Der zweite Höhepunkt (nach dem Weihnachtskonzert im Januar) der 100-Jahr-Schulfeierlichkeiten nahm seinen Auftakt. Aus allen Richtungen laufen die Chormitglieder in bunten Outfits. Die kräftigen Bass-Stimmen tragen weiß mit Hosenträger, der Jugendchor „DieJ“ hat sich für ein einheitliches Türkis entschieden. Sie alle bilden einen prachtvollen Regenbogen voller Leidenschaft für Musik. Die ersten Klavierklänge von Mascha Huesca Valverde erklingen. Raul Huesca Valverde tritt auf das Dirigenten-Podest. Hände und Arme nehmen Spannung an – fließend, scharf, ausdrucksstark: Back to the Roots. So wie es vor 10 Jahren kurz vor dem allerersten Konzert war. Von Lampenfieber keine Spur.
Die emotionale Reise, die Chorleiter Raul Huesca Valverde mit „seinem“ MGC von der ersten Idee als Saatkorn einbrachte, ist zu einer tief verwurzelten, westfälischen Eiche geworden. Die Baumkrone reicht weit und trägt viele Früchte. Mehrere Altersklassen einzubinden war und ist ein Geniestreich, der für musikalische Qualität bürgt.
Ein nachhaltiges und nachhallendes Musik-Erlebnis
Die Auswahl der Lieder für das 90-minütige Programm lesen sich wie ein Best-of-Chormusik der vergangenen Jahrzehnte und fügt sich nahtlos in die lebendige Schulgeschichte des Johanneums ein. Ein „perfect match“ sozusagen! Stehengeblieben ist die Zeit aber mitnichten, wie man an der professionellen Ausgestaltung des Konzerts wahrnahm: Das Konzertprogramm gab es – besonders nachhaltig – als QR-Code zum Selbstabrufen. Inklusive Hintergrundinfos zu den einzelnen Stücken. Ob im Schulalltag oder im Chorleben: Die Digitalisierung schreitet voran.
Die beeindruckende Chormusik bleibt aber selbstredend weiterhin Handarbeit. Verbunden mit vielen Chorproben und Hintergrundarbeit bei den Arrangements und Stimmbildung überzeugte das Konzert auf ganzer Linie. Lieder mit Bedeutung füllten die Schulaula aus. Lieder, die Körper und Geist gleichermaßen bewegten und genauso bunt sind wie die Zusammensetzung des MGC. Jeder Song hat eine besondere Hintergrundgeschichte. Sie erinnern an die großen und kleinen Auftritte in der Region und darüber hinaus. An die Menschen, die nicht mehr im Chor sind.
Das „Lied vom Nicht-Verstehen“ von Oliver Gies (Maybepop) ist ein Beispiel. Die Dynamik und Harmonien prädestinieren das Werk als Chorstück. Der Text befasst sich mit Missverständnissen in der Gesellschaft und appelliert zu mehr Mitgefühl. Die Corona-Zeit und der Krieg in Osteuropa haben auch im Chor Spuren hinterlassen, deren Bewältigung man mit der gemeinsamen Musik zum Ausdruck bringt. Ein Appell vor allem an junge Leute, sich in der Gesellschaft einzubringen und Zivilcourage zu zeigen. Es sei wichtig, dass alle Menschen zusammenleben können, unterbricht Raul Huesca Valverde den musikalischen Part mit einem kurzen Hintergrund-Exkurs zu den Gedanken bei der Gestaltung des Konzertprogramms, dass in diesem Moment auch dem franziskanischen Leitmotiv des Schulpatrons hier im Johanneum nahekommt.
Die Schullaufbahn des Chorleiters liegt fast eine Dekade zurück, doch das Konzertprogramm könnte schon alleine anhand der Setlist den Weg nachzeichnen, denn der MGC seither genommen hat: Mit „Circle of Life“ – der einzigartigen und kraftvollen Disney-Hymne zum Erwachsenwerden, dem legendären Queen-Hit „Bohemian Rhapsody“, dem verrückt-bunten Klassiker „Time Warp“ oder dem hochemotionalen „Tears in heaven“ bildet „Back to the Roots“ wird hier ein ganzer Lebenszyklus mit Höhen und Tiefen abgebildet. Mit „Believer“ könnte man sinnbildlich den Mut der Akteure von 2015/2016 umreißen. Ein junger Abiturient mit einer (weitreichenden) Vision wird ermutigt und geht neue Wege. Und mit „I will survive / Survivor“ untermauerte der Chor der 100 Stimmen aus Diestedde kraftvoll, dass man das Erfolgsrezept beibehalten wird. „Gehen Sie singen – das macht unfassbar viel Freude“, appellierte Huesca Valverde unter kopfnickender Zustimmung seiner Chormitglieder an das Publikum.
„Nicht nur, was er aus seiner Chor-Idee letzten Endes gemacht hat, sondern wie er sich entwickelt hat: Vom Abiturient hin zum Musikstudent hinüber zum fertigen Lehrer und Chorleiter! Es war schön zu sehen, dass auch Guido Geimer extra gekommen ist, der damals als Hauptprüfer die gesamte Lernleistung mitbegleitet hat“, zeigte sich der damals verantwortliche Fachlehrer Martin Große Hundrup überwältigt und stolz auf das, was Raul Huesca Valverde mit seiner Leidenschaft für Musik erreicht hat.
Um das Ergebnis mit allen Sinnen erleben zu können, bietet sich der Besuch eines Konzerts des MGC an. Oder man singt einfach selbst dort mit! Um es mit den Worten von Ed Sheeran – hier gerichtet an den MGC – zu sagen: „Though I don’t deserve this, you look perfect tonight“ (zu Deutsch etwa: „Auch wenn ich das nicht verdiene, siehst du heute Abend perfekt aus“) – und sie klangen auch so! Oder kurz: Die stehenden Ovationen für diese einzigartige Gemeinschaftsleistung waren mehr als verdient! Das war einfach PERFEKT!
PS: Die kurzfristig eingesprungene Solistin Caro Friemel und ihre Stimme hätten eigentlich noch einen eigenen Beitrag verdient (Anm. d. Red.: WOW!)
Konzertkritik/Fotos: B. Brüggenthies
Bildergalerie: Back to the Roots (MGC Diestedde








































