Wadersloh (mw/bb). Am Samstagabend hat der Heimatverein Wadersloh zur Gedenkveranstaltung anlässlich der Novemberpogrome 1938 in Wadersloh eingeladen. Vor dem Rathaus fanden sich viele Mitbürgerinnen und Mitbürger zusammen, um insbesondere den fünf jüdischen Familien der Dorfgemeinschaft zu gedenken, die dem NS-Terror vor 86 Jahren zum Opfer fielen. Zugleich sollte die Veranstaltung ein Appell gegen Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Extremismus sein.
Das Gedenken begann mit einer ergreifenden Begrüßung durch Winfried Schlieper, Vorsitzender des Heimatvereins Wadersloh. Er erinnerte daran, dass die Wahl des Ortes – vor dem Rathaus, neben dem Gedenkstein – eine symbolische Bedeutung habe. „Dieser Stein symbolisiert auch, dass dort Menschlichkeit gebrochen ist, dass Kultur und Zusammenleben gebrochen ist“, erklärte Schlieper. „Das ist genau der richtige Ort, an dem wir uns treffen müssen. Dort, wo Politik gestaltet wird und gemacht wird von vielen Bürgern, die im Rat tätig sind und die unterstützen, wirken und auch weiterhin solche Vorhaben wie heute Abend begleiten.“
Schlieper sprach zudem persönlich über seine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und schilderte, wie er die Erfahrungen seiner eigenen Familie während dieser Zeit verarbeitet hat. Er betonte, wie wichtig es sei, sich die Folgen von Diskriminierung und Ausgrenzung bewusst zu machen und erinnerte an die Gräber der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger auf dem jüdischen Friedhof, die nach Jerusalem ausgerichtet sind. „Aber genau dort im Zentrum, rund um unsere Kirche, wo viele jüdische Familien ansässig waren, geschah dann das Unfassbare,“ sagte er und rief die Bilder der zerstörten jüdischen Besitztümer ins Gedächtnis: „Das schöne Kleid, der gute Anzug, die Schuhe, […] das Geschirr und Besteck […]. Mit Sicherheit waren es Erinnerungsstücke an eine glückliche Zeit. Jedes Stück steht für eine Geschichte. Für die Geschichte eines Menschen, der an diesem Ort, in unserem Ort, in unserem Dorf, keine Verwendung für diese Sachen mehr haben sollte, weil er von Tätern einer menschenverachtenden Ideologie jeder Individualität beraubt wurde.“
Bürgermeister Christian Tegelkamp erinnerte in seiner Ansprache an die Ereignisse der Reichspogromnacht und die Tatenlosigkeit vieler Mitbürgerinnen und Mitbürger, die den Angriffen auf die jüdischen Familien tatenlos zusahen oder sogar daran teilnahmen. „Das Pogrom sollte als spontaner Ausbruch des Volkszorns erscheinen, während die eigentlichen Drahtzieher im Verborgenen blieben und bleiben wollten. Die Organisation des Gewaltausbruchs übernahm die Gliederungen der Nazis, auch hier in Wadersloh“, erklärte er. In einem bedrückenden Zitat aus Hans-Josef Kellners Werk „Die vergessenen Nachbarn“ wird die kühle Gleichgültigkeit gegenüber jüdischen Opfern deutlich: „Ein Jud braucht kein Radio“, heißt es dort, ein Satz, der die menschenverachtende Haltung jener Zeit widerspiegelt, als ein NS-Obertruppführer den Apparat eines jüdischen Mitbürgers zerschossen hatte. Tegelkamp betonte die Scham, die diese Ereignisse bis heute hervorruft und unterstrich: „Antisemitischen und rassistischen Ressentiments in unserer Gesellschaft darf kein Platz geboten werden. Gar keiner.“ Tegelkamp mahnte nachdrücklich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – so steht es in Artikel 1 unseres Grundgesetzes. Dieses Leitprinzip müsse verhindern, dass sich der Schrecken der Vergangenheit jemals wiederhole.
Schülerinnen und Schüler des Johanneums Wadersloh brachten musikalisch mit „Shalom Chavarim“ eine friedvolle Botschaft und luden die Anwesenden zum Mitsingen ein. Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule trugen Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Ins Lesebuch für die Oberstufe“ vor, das mit eindringlichen Worten mahnt: „Der Tag kommt, wo sie wieder Listen ans Tor schlagen und malen den Neinsagern auf die Brust Zinken.“ Enzensberger fordert, wachsam zu bleiben und sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren.
Dr. Knut Langewand, Vorsitzender des Geschichts- und Heimatvereins des Kreises Warendorf, erinnerte daran, dass Geschichte „die Lehrmeisterin des Lebens“ ist, wie es der römische Philosoph Cicero einst formulierte. Er zeigte sich jedoch besorgt, ob die Menschen tatsächlich aus der Vergangenheit gelernt haben, und verwies auf die gegenwärtigen antisemitischen Tendenzen in der Gesellschaft. „Der Soziologe und Antisemitismusforscher Samuel Salzborn hat einmal gesagt, dass es sich für Jüdinnen und Juden heute in Deutschland immer seltsam anfühlt, wenn sie gefragt werden, ob sie denn mit Antisemitismus, mit Judenfeindschaft konfrontiert werden. Denn für jede und für jeden von ihnen ist es immer schon eine Alltagserfahrung gewesen von klein auf, auch nach 1945“, erklärte er. Diese Aussage verdeutlicht, dass Antisemitismus leider auch in der Gegenwart noch für viele Jüdinnen und Juden eine alltägliche Erfahrung ist. Sein Appell: „Lassen Sie uns nicht schweigen, wenn und wo auch heute wieder Antisemitismus in unserer Gesellschaft stattfindet. Nennen wir Täter, ihre Helfer und ihre Taten beim Namen. Lassen Sie uns ganz genau hinschauen, wo Jüdinnen und Juden beleidigt und angegriffen werden.“
Zum Abschluss sangen alle gemeinsam das Lied Imagine von John Lennon, um den Wunsch nach einer friedlichen und gerechten Welt zu bekräftigen. Mit dem Anzünden der Gedenklichter vor dem Gedenkstein am Rathaus wurde nicht nur an die Opfer der Novemberpogrome, sondern auch an die vielen Menschen erinnert, die bis heute unter Antisemitismus und Ausgrenzung leiden. Die Veranstaltung unterstrich die Verpflichtung, den Opfern zu gedenken und aktiv gegen Hass und Ausgrenzung einzutreten, um die Zukunft friedlicher zu gestalten.
Fotos/Text: B. Brüggenthies