Diestedde (mw/bb). Es war eine spannende Windrad-Pionier-Zeit, erinnern sich Bernhard Filies, Stefan Knubel und Ludger Rembeck zurück an die 1990er-Jahre. Mit Wehmut verfolgten sie mit weiteren Mitstreitern den Abbau der „Seewind 110“ an der Oelder Straße in Diestedde. Mit dem Verein für Umweltfreundliche Energien Wadersloh (VUEW) war der damals noch junge Verein als Quasi-Vorgänger der heutigen UEW eG in Sachen regenerativer Energie ein absoluter Pionier für Bürgerenergie. Ein sichtbares Zeichen der vielfältigen Anstrengung des Vereins war seit 1995 bis zu dieser Woche die Windkraftanlage im Gemeindegebiet Wadersloh. Auf dem Acker der Familie Wiglinghoff-Lönne ging mit dem Abbau zu Wochenbeginn nach 29 Jahren eine Ära zuende.
„Unsere Idee war schon damals das Voranbringen der regenerativen Energie. Vieles steckte in den 1990er-Jahren aber noch in den Kinderschuhen“, erinnert sich Bernhard Filies, seinerzeit Vereinsvorsitzender des VUEW. Vollbracht wurde die Pionierleistung mit dem Bau eines ersten Windrads von fünf Personen, den zwecks Risikoabsicherung musste eine GbR gegründet werden. Der ursprüngliche Plan sah sogar noch gänzlich anders aus: Die KLJB Wadersloh sollte das Windrad errichten und hatte nicht nur einen Antrag bei der Gemeindeverwaltung gestellt, sondern auch Windmessungen durchgeführt. Geplant war der Bau des Windrads am Klärwerk zwischen Wadersloh und Liesborn. Dort, wo heute ein modernes Bürgerwindrad steht. Der Gemeinderat unter Gemeindedirektor D. Herbert Gövert stimmte seinerzeit gegen das ambitionierte Vorhaben.
„Wir haben dann aber einige Zeit später mit Josef Wiglinghoff einen Verpächter in Diestedde gefunden und so konnten wir dann doch noch Geschichte schreiben“, blickt Ludger Rembeck, heute Vorstand der UEW eG, auf die spannende Zeit zurück. „Wir wussten nicht, wie es weitergeht. Aber 120 Vereinsmitglieder, ein Privatkredit und eine gemeindliche Förderung in Höhe von 50.000 DM ebneten den Weg für einen neuen, einstimmigen Beschluss für den Bau des Windrads auf dem Acker von Familie Wiglinghoff-Lönne“, so Bernhard Filies. Die 44 Meter hohe Anlage mit 11 Meter langen Flügeln produzierte im Schnitt zwischen 780 und 100 kWh über die Laufzeit insgesamt 1,5 Mio. kWh. „Die Anlage war ein Werk von vielen Leuten. Viel Rückenwind hatten wir aber auch von der gesamten Anwohnerschaft an der Oelder Straße, die das Projekt immer sehr positiv gesehen hat“, blickt Stefan Knubel als direkter Anwohner am letzten Tag vor dem Abbau auf das ehrgeizige Projekt zurück.
Aus heutiger Sicht ist die „Seewind 110“ im Vergleich zu modernen Anlagen fast schon ein Spielzeug. Für 385.000 DM erbaut und mit viel Herzblut und Eigenleistung errichtet, hat sich die Anlagentechnik deutlich weiterentwickelt, was auch ein Grund für den Abriss darstellt. „Nicht nur die Nabenhöhen sind heute entschieden größer. Moderne Anlagen haben viel mehr Leistung. Allein von 2018 bis 2024 gab es einen Sprung von 3 auf 6 Megawatt Leistung. In Summe kam die Seewind-Anlage auf plus minus Null. Über 20 Jahre waren wir mit nur 9 Cent dabei. Aber wir waren eben Pioniere und wollten kein Geld mit dem Windrad verdienen, sondern das Thema regenerative Energien anschieben. Und das ist uns gelungen. Die Energiewende liegt heute auch in Bürgerhand.“
Im Gegensatz zu den heutigen Großbauprojekten in luftigen Höhen waren damals noch keine Artenschutzgutachten notwendig. „Das gab es schlichtweg damals einfach noch nicht“, so Rembeck. Dennoch habe man immer viel Wert auf einen Ausgleich im Umfeld gelegt. Durch umfassende Bepflanzungen entstand in den vergangenen 29 Jahren ein kleines Ökosystem rund um die Anlage. „Das ist nahezu einmalig für die Vogel- und Tierwelt. Die angepflanzten Hecken und Obstbäume machen den Standort zu etwas Besonderem“, sagt Rembeck.
Die Firmen Hofmann (Paderborn), Diekötter (Gütersloh), Franz Bracht (Erwitte) und WTN (Engesande) kümmern sich um den fachgerechten Abbau der Anlage. Die großen Teile können wegen des Stahls und Kupfers recycelt werden, die Flügel aus Glasfaser müssen fachgerecht entsorgt werden. Der Grund für den Abriss sind nicht nur zu erwartende Reparaturen, sondern auch das Fehlen größerer Verbraucher im Umfeld des Windrads. So war der weitere Betrieb nicht mehr wirtschaftlich. Für die Energiewende war das erste Windrad in der Gemeinde Wadersloh ideell, aber unbezahlbar. In Liesborn-Göttingen plant die UEW weitere Bürgerwindräder. Die Gemeinde Wadersloh hat eine eigene Anlage am Klärwerk. „Wir blicken mit etwas Wehmut auf den Abriss der Seewind, freuen uns aber jetzt auf die neuen Projekte“, resümieren die Windenergie-Pioniere des VUEW. Der Verein und die GbR sollen in Kürze aufgelöst werden. Die Bemühungen rund um erneuerbare Energien in der Gemeinde Wadersloh setzt seit Jahren die UEW eG fort.
Fotos/Text: B. Brüggenthies; zus. Archivfotos: Familie Knubel (5)