Liesborn (mw/bb). Von Liesborn aus in die weite Welt: Am Samstagabend gab es mit „Esprit Français“ eine Welturaufführung im Klosterhof zu sehen. Aus mehreren Gründen stellt das eine Besonderheit dar. Da wäre zum einen die Frage, wie es dazu kam, dass zwei renommierte Musiker wie Eckard Runge (Violoncello) und Jacques Ammon (Klavier) ausgerechnet das kleine Liesedorf für die Premiere dafür ausgewählt haben, aber auch die Frage, wer auf den Geistesblitz kam, zwei Kunstformen miteinander zu verschmelzen, in dem man die beiden talentierten Pantomimen Wolfram von Bodecker und Alexander Neander als Teil des visuell und akustisch überzeugenden Abendprogramms für das Konzert miteinbezog. Eine kleine Zeitreise gibt die passenden Antworten.
Schalten wir also zunächst einen Gang zurück bei der Weltreise, die die Seine an die Liese holte, und gehen wir auf eine musikalische Sommernachtszeitreise der französischen Art als grande finale der Liesborner Museumskonzertsession 2023. Eckard Runge, dreißig Jahre als Teil des Artemis Quartetts auf der ganzen Welt und seit 2019 auf Solopfaden und als Teil des Duos „Runge & Ammon“ unterwegs, äußerte 2021 bei einem Auftritt in Liesborn die Idee einer künstlerischen Zusammenarbeit mit den Mimen Neander und von Bodecker. Jörg Lopper war sofort Feuer und Flamme. Die Symbiose von klassischer Musik und der Kunst der Pantomime? Das kann nur ein Erfolgskonzept werden! Und der künstlerische Leiter der Museumskonzerte sollte Recht behalten. Als im Frühjahr das Konzertprogramm druckfrisch vorlag, leuchteten die Augen bei der bloßen Erwähnung des 6. und letzten Konzerts auf. Liesborn hatte seine Welturaufführung und sie war ein purer Genuss, der die Erwartungen mehr als erfüllte.
Eckard Runge (Violoncello) und Jacques Ammon (Klavier) gelten nicht umsonst als Virtuosen. Zugleich machte Runge auch als Moderator eine sehr gute Figur. Apropos Figuren: In mannigfaltiger Gestalt traten Wolfram von Bodecker und Alexander Neander auf und bebilderten die Zeitreise auf eine unnachahmliche Art. Dank der Projektionen und des Schauspiels ohne Worte verließen die Pantomimen der klassischen Musik eine weitere Erlebnisebene, die voller Kurzweil das rund 90-minütige Konzertprogramm wie eine Express-Fahrt Hochgeschwindigkeitszug TGV erschienen lassen. Das ging alles viel zu schnell vorbei!
Die Schönheit der französischen Musik, gepaart und verquickt mit Kultur-Episoden aus Literatur, Film und der lässigen Lebensart: Vom Gefühl her ein leichter und humorvoll inszenierter französischer Sommerfilm, aber eben als Klassik-Konzert mit opulenten Schauwerten. Feinfühlig dargestellt ohne viel Worte, aber dafür mit unbeschreiblichem Talent, das Publikum mitzureißen. Eine tiefe, kulturelle Verbeugung vor Frankreich und dem schönen Leben. Für den nötigen Tiefgang sorgten Werke von Debussy, Ravel, Piaf, Gershwin und Aznavour. Die vier Künstler verstanden es, eine breite Palette an Emotionen über beide Kunstformen abzubilden. So lauschte das Publikum der Musik und verfolgte die visuellen Darstellungen auf der Leinwand, die dynamisch zu den Werken passende Bilder zeigte. Die Pantomimen machten das Gesamtkunstwerk unter der Regie von Lionel Ménard komplett.
Die Pariser Caféhaus-Atmosphäre im Klosterhof erinnerte ein wenig an die romantische Filmkomödie „Midnight in Paris“. Hier trifft der Hauptprotagonist im Verlauf der Handlung nach einem Zeitsprung auf bekannte Schriftsteller, Künstler und Musiker. Umrahmt vom nächtlichen Paris, wird der Zuschauer auf eine wunderschöne Reise genommen. Das Programm „Esprit Français“ erschafft ebenso eine Magie. Plötzlich taucht Edith Piaf im Hintergrund auf und rührt mit „La Vie en rose“ fast zu Tränen. Der Tribut an Saint-Exupéry: ein wahres Gedicht!
Gedimmtes Licht, eine Wohnzimmerlampe und nur das Klavier und das Cello entfalten eine Räumlichkeit, die den ganzen Saal erfasst. Die wechselseitige Reaktion der Künstler untereinander strotzt vor Lebendigkeit und Lebensfreude. Selbst bei den melancholischen Werken. Die Stummfilm-Ästhetik erinnerte an unbeschwerte Zeiten. Ein Widerspruch? Mitnichten! Bewusst inszeniert, um die Vielfalt und Extreme Frankreichs mit Musikinstrumenten, Mimik und Gestik einzufangen und das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Eine 90-minütige Liebeserklärung an Frankreich.
Charaktervoll wie ein französischer Käse und ein guter Wein: Die vier „Reiseführer“ Eckard Runge, Jacques Ammon, Wolfram von Bodecker und Alexander Neander haben das Kunststück vollbracht, einen langen Spaziergang an der Seine an die Liese zu holen. Mit Sinnlichkeit und Weltlichkeit wurde Liesborn zum Finale der Museumskonzerte für einen Abend zum Montmartre der Weltstadt Paris.
Möge das Programm voller Kraft und Verve und mit seinen musikalischen Momentaufnahmen viele Menschen weltweit begeistern! Bon Voyage!
Impressionen von der Welturaufführung von „Esprit Français“
Konzertkritik & Fotos: B. Brüggenthies