Wadersloh (mw/bb). Es gibt einen Aspekt, der die Schützenfeste in der Gemeinde Wadersloh zu etwas Besonderem macht und der eine zentrale Rolle im Festverlauf einnimmt: das Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt. Am Ehrenmal bei Selhorst hielt Mario Wachsmann, Offizier der Jubilarkompanie, am Sonntagvormittag eine viel beachtete Rede. Es ging dabei um die jüdischen Nachbarinnen und Nachbarn von einst.
Über Wochen und Monate hatte sich der Fähnrich der Jubilarkompanie auf seine Rede zur Kranzniederlegung vorbereitet. Als Grundlage dafür diente das Werk „Die vergessenen Nachbarn – wer kennt sie noch?! – Die Geschichte der jüdischen Familien in Wadersloh seit 1816“ von Hans-Josef Kellner. Als aktives Mitglied im Heimatverein und in der Kolpingfamilie stand es für Wachsmann außer Frage, das dunkle Kapitel in der Geschichte Waderslohs zu beleuchten. Als in ganz Deutschland 1938 Synagogen und jüdische Geschäfte brannten und Menschen jüdischen Glaubens von den Nazis bedroht und drangsaliert wurden, waren auch Familien in Wadersloh betroffen.
In unmittelbarer Nähe zum „Jüdischen Friedhof“ und dem Julius-Silberberg-Weg erinnerte Mario Wachsmann an das Schicksal der Wadersloher Familien jüdischen Glaubens. In Stille und mit großer Anteilnahme verfolgte die Zuhörerschaft die Rede. „Julius Silberberg lebte mit seiner Familie am Mauritz und als er 13 Jahre alt war, wurde er in einem Viehwaggon nach Lettland verschleppt und in einem Wald bei Riga erschossen.“ – Als Teil der Dorfgemeinschaft gehörten die jüdischen Familien seit hunderten von Jahren zu Wadersloh und engagierten sich nicht nur im Sportverein, sondern auch im Schützenverein und bei der Feuerwehr. Zwei der fünf jüdischen Familien in Wadersloh hatten eigene Geschäfte im Ort. Mit viel Feingefühl zeichnete Wachsmann das alltägliche Leben der jüdischen Nachbarn in der Dorfgemeinschaft nach. Er berichtete aber vor allem von der zerstörerischen Gewalt, die sich auch im Münsterland gegen Menschen jüdischen Glaubens unter der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten entlud.
Heute erinnern eine Gedenkplatte an der Überwasserstraße, Stolpersteine an den einstigen Wohnorten der jüdischen Familien und der „Jüdische Friedhof“ an das Schicksal der Juden in Wadersloh. „Julius Silberberg war Jahrgang 1928. Er wäre in diesem Jahr 95 Jahre alt geworden und könnte vielleicht heute noch leben“, so Mario Wachsmann. Fünf Öllichter wurden im Rahmen des Besuchs der Jubilarkompanie am „Jüdischen Friedhof“ vom Heimatverein entzündet und am Ehrenmal aufgestellt. „Wenn wir in diesem Jahr an unsere verstorbenen Schützenbrüder gedenken, lasst uns auch an unsere vergessenen Nachbarn gedenken und lasst uns niemals damit aufhören.“
Mit Louis Gutmann war 1925 ein jüdischer Mitbürger Schützenkönig in Wadersloh. Knapp 100 Jahre später sind nur noch wenige Spuren der jüdischen Nachbarn von einst sichtbar. Daher ist es wichtig, die Erinnerung an die fünf Familien wachzuhalten. Besonders heute (12. Juni), wenn ein neues Schützenkönigspaar die Regentschaft der Margarethen-Schützen antritt. Das Gedenken an die Opfer von Gewalt und Krieg nimmt eine zentrale Stellung im Festverlauf der Schützenfeste ein. In Zeiten, in denen wieder Krieg in Europa herrscht, erinnern die Schützenvereine in diesen Wochen daran, dass Krieg keine Gewinner kennt.