Liesborn (mw/bb). Sehr lange haben Kulturfans auf diesen besonderen Moment gewartet: Das Liesborner Evangeliar, eine tausend Jahre alte Handschrift, ist zurück in Liesborn. Mehr als 200 Jahre nach Auflösung des Klosters im Zuge der Säkularisierung ist der Kunstschatz wieder im Liesedorf. Nicht mehr als Alltagsgegenstand für die Gottesdienste, sondern als neuer Höhepunkt der Dauerausstellung zur Abteigeschichte. Hinter einer speziellen Vitrine und umgeben von zwei geschichtsträchtigen Kruzifixen ist der Stelen-Dreiklang mit dem Evangeliar als Herzstück ein kultureller Leuchtturm für Liesborn, die Gemeinde Wadersloh, den Kreis Warendorf, und NRW. Im Rahmen eines Festakts zeichneten die Verantwortlichen vor rund 200 geladenen Ehrengästen die Weltreise des monumentalen Kunstschatzes in Pergamentform nach. Untermalt wurde der Festakt im Klosterhof mit einem hochkarätigen Musikprogramm und mündete in Kleingruppenführungen durch die neuen Ausstellungsräume.

Der rote Teppich ist ausgerollt. Festlich geschmückt erwartet das altehrwürdige Museum mit seinen neuen Exponaten und Ausstellungsräumen die Gäste. Doch es muss sich noch in Geduld üben. Viele Festrednerinnen und -redner haben zunächst das Wort. Einen klaren Vorteil haben Inhaber des Latinums, denn Gina Derhard-Lesieur rezitiert das Widmungsgedicht von Stifterin Berthildis. Landrat Dr. Olaf Gericke betritt die Bühne und heißt die Gäste willkommen. Im Mittelpunkt seiner Dankesrede stehen die Geldgeber und Unterstützer für den 2017 geglückten Jahrhundert-Coup. Der Kauf des Evangeliars blieb bis zum Ende spannend. Schon 1987 gab es einen ersten Versuch, das Evangeliar anzukaufen. 30 Jahre später glückte das Unterfangen. Eine einmalige Chance für den Kreis Warendorf und vor allem das Museum Abtei Liesborn. Oder wie man in Westfalen sagen würde: „Wir sind ganz zufrieden!“
Das Engagement der vielen Akteure hob NRW-Kulturministerin Ina Brandes hervor. Landrat Dr. Gericke habe sich besonders für die Rückkehr des Evangeliars eingesetzt. Sie danke im Namen der Landesregierung allen, die dazu beigetragen haben, dass die Handschrift nach ihrer Weltreise den Weg zurück nach Liesborn fand. Auch die Inszenierung hob die Ministerin positiv hervor: „Man muss diesen Anspruch haben, dem eine besondere Darstellung und Präsentation zu geben.“
„Dieses Buch macht uns glücklich. Es ist das Wunder von Liesborn.“ Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster und Verwaltungsrat der Sparkasse Münsterland Ost, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass viele glückliche Umstände zusammenkamen, die zum erfolgreichen Kauf des Evangeliars führten: „Es war im Grunde genommen eine extrem schmale historische Sekunde, in der diese Tür geöffnet war.“
„Unsere Kultur hat seit langer Zeit eine herausgehobene Bedeutung, die eng mit der Abtei verbunden ist“, blickte Waderslohs Bürgermeister Christian Thegelkamp zurück. Nach der Säkularisierung waren viele wertvolle Kunstschätze des einstigen Klosters in alle Himmelsrichtungen verstreut worden. Erhalten blieb bis heute die Verbundenheit des Ortes zu Kunst und Kultur. Neben dem Bildhauersymposium und dem Kammermusikfestival werde nun die Dauerausstellung und das Evangeliar selbst dazu beitragen, den Kulturstandort weiter zu stärken. „In meinen Augen ist das ein historischer Glücksfall, dass mit dem Liesborner Evangeliar ein mindestens national bedeutender Kunstschaft nun wieder an seinen Bestimmungsort zurückkehrt. Wer hätte das jemals für möglich gehalten?“

Von der hohen Anziehungskraft werde man sehr profitieren, zeigte sich Thegelkamp angesichts der neugestalteten Ausstellungsräume und dem ganzheitlichen Angebot des Museums überzeugt: „Das Museum Abtei Liesborn belegt, dass Kultur nicht nur in Großstädten stattfinden muss. Im Gegenteil: Mit kulturinteressierten Bürgerinnen und Bürger, mit mutigen Menschen und weitblickenden Institutionen, sowie passenden Angeboten erblühen Kunst und Kultur auch im ländlichen Raum“, fasste der 1. Bürger der Gemeinde Wadersloh die Teamleistung beim Rückkauf des Evangeliars und seiner Präsentation zusammen.
Neben der Einzigartigkeit der Präsentation betonte Dr. Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbands (LWL), das reichhaltige Angebot in der Klosterlandschaft. Das Liesborner Evangeliar und der damit verbundene Umbau des Museums seien ein besonders Highlight in der Region. Der Kreis Warendorf habe beim Thema Barrierefreiheit von Anfang an mitgedacht und so eine Bereicherung für alle Besucherinnen und Besucher geschaffen. Vom damaligen Heimathaus des Kreises Beckum (1966), über das Heimathaus des 1975 neu gegründeten Kreises Warendorf und dem 2004 umgesetzten Anbau konnte der LWL projektorientiert die Kulturarbeit im ländlichen Raum fördern.

In seinem Festvortrag ordnete Prof. Dr. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Bedeutung und Geschichte des Evangeliars ein. Nur wenige Handschriften seien vollständig erhalten. Schon in seiner Entstehungszeit im 11. Jhrd. gehörte das Evangeliar als „libre vitae“ (Buch des Lebens) zu den kostbarsten Büchern der Liturgie.
Nach mehr als 1.000 Jahren Klostergeschichte und 220 Jahren auf Reisen ist das Liesborner Evangeliar nun zurück in seiner Heimat. Mit einem Rundgang durch die neuen Ausstellungsräume konnten sich die Gäste des Festakts von der Neukonzeption des Museums überzeugen. Für die Öffentlichkeit öffnet das Museum am Sonntag von 10-18 Uhr mit einem bunten Programm. Mehr dazu hier.
Liesborner Evangeliar: Impressionen vom Festakt




























Fotos/Text: B. Brüggenthies