Wadersloh/Liesborn (mw/bb). Großes Aufatmen bei den Investoren, die im Gemeindegebiet Wadersloh mit Agri-PV und Freiflächen-Photovoltaik für ihre Zukunft planen möchten. Nach umfänglicher Diskussion in den Ausschüssen und im Rat gibt es nun Rechtssicherheit bei den bereits beantragten und zukünftigen Anlagen. Die sehr komplexen Beratungen mündeten jetzt in einem von der Politik abgesegneten Kriterienkatalog, der die Ausgestaltung von Agri- und Freiflächen-PV-Anlagen regeln soll.
Nach mehreren Wochen intensiver Beratung wurde im Rat der Gemeinde Wadersloh in sage und schreibe zwölf Einzelabstimmungen entscheiden, wie der Umgang mit den speziellen PV-Anlagen zu verfahren ist. Dabei zeigte sich nicht nur Einigkeit in den Fraktionen. Die AFD lehnte jeden einzelnen Punkt ab, einzelne CDU-Fraktionsmitglieder enthielten sich in Teilen bei einzelnen Punkten des Kriterienkatalogs. Bei den Punkten (2) und (3), die die Anlagengröße festlegen, stimmten sie sogar gegen die Vorlage (Punkt 2: 22 Ja, 5 Nein; Punkt 3 22 Ja, 4 Nein, 1 Enthaltung) (Anm. d. Red.: die Abstimmungsquote wurde nachträglich ergänzt). Unter dem Strich haben aber alle zwölf Punkte die erforderliche Stimmenmehrheit erhalten, so dass die Gemeinde Wadersloh jetzt die konkrete, prozessuale Phase einleiten kann.
Diese Kriterien gelten künftig für PV-Anlagen im Außenbereich
Die zwölf Oberpunkte des Kritierienkatalogs decken ein breites Spektrum ab und behandeln:
- Gesetzliche Ausschlussvorgaben (u. a. Naturschutzgebiete, FFH, Biotope etc. pp.)
- Substanzieller Raum
- Maximale Anlagengröße
- Raumbedeutsamkeit und Landschaftsbild
- Bodenpunkte
- Vorhabenbezogene Bauleitplanung
- Offenes Planverfahren
- Betreibergesellschaft
- Regionale Wertschöpfung
- Wirtschaftliche Beteiligung
- Rückbauverpflichtung
- Antragsbearbeitung
In Punkt 2 wird festgelegt, dass ca. 1,5 Prozent (= 175 Hektar) des Gemeindegebiets zugebaut werden dürfen. Mindestens 1/3 davon muss Agri-PV sein. Die maximale Anlagengröße darf gemäß (3) 15 Hektar bei Freiflächen-PV und 20 Hektar bei Agri-PV umfassen und ist mit weiteren Auflagen verbunden. Bei der Raumbedeutsamkeit (4) wird geregelt, dass die Anlagen einen Mindestabstand untereinander und zu Siedlungen haben müssen. Auch im Umfeld von Schloss Crassenstein darf in einem Radius von 1000 Metern keine Anlage errichtet werden.
Wie aus dem Kriterienkatalog hervorgeht, ist eine regionale Wertschöpfung und Beteiligungsmöglichkeit ebenfalls verbindlich vorgesehen. Nach (7) ist sowohl der Landw. Ortsverein, als aus der WLV bei der Planung miteinzubinden. Nach (8) müssen 75,1 Prozent des Eigenkapitals von Privatpersonen/Institutionen mit Sitz in Wadersloh stammen. Fremdkapital soll nach Möglichkeit über die ortsansässigen Geldinstitute eingeworben werden. Punkt (9) sieht vor, dass möglichst örtliche und regionale Unternehmen bei Planung, Bau und Betrieb der Anlagen bevorzugt werden sollen. Punkt (10) sieht vor, dass sowohl die Kommune wirtschaftlich beteiligt (nach Ratsbeschluss, max. 24,9 Prozent) werden kann als auch Bürger finanziell teilhaben können, sofern die Wertschöpfung in der Gemeinde Wadersloh bleibt. Pflichtabgaben entsprechen dem aktuellen EEG, jedoch mind. 0,3 Cent pro Kilowattstunde an die Gemeinde Wadersloh (Anm. d. Red. nach Aussage der FWG-Fraktion sollen die Einnahmen der Haushaltsabsicherung dienen und vorrangig für Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsmaßnahmen verwendet werden).
In den Punkten (2) und (3) sahen u.a. Dr. Ulrike Keitlinghaus und Daniela Braune (beide CDU) noch Diskussionsbedarf. So wurde angeregt, eine DIN-Norm für die Beurteilung der Anlagen zugrundezulegen. Davon sei bewusst abgesehen worden, da man nicht gewünschte Dinge bereits im Antragsverfahren klären möchte, so Dezernent Norbert Morfeld. Hintergrund ist, dass nicht alle Freiflächen-PV-Anlagen automatisch auch eine Agri-PV-Anlage ist. Der Einstieg für Agri-PV soll demnach erstmal erschwert werden, um gezielt Entscheidung zu treffen. Mit den gesammelten Erfahrungswerten soll dann im Jahr 2027 eine umfassende Evaluation stattfinden.
Umfassende Stellungnahmen von CDU und FWG
Unerwartet lange Stellungnahmen trugen CDU und FWG im Anschluss an die Abstimmung vor. Rudi Luster-Haggeney (CDU) begrüßte darin den breiten Mehrheitsbeschluss: „Auch wenn es im letzten Jahr noch etwas holprig losging, unser gemeinsames Vorgehen war und ist richtig. Wir, die CDU, stehen dazu, es reicht nicht nur über Klimaschutz zu reden und eine Wende zu den erneuerbaren Energien zu fordern. Wir werden, das haben wir auf anderen Feldern immer schon getan, auch diesmal handeln. Aber Handeln natürlich nur auf fundierter Wissensbasis. Deshalb war es richtig, dass erst der von CDU initiierte Projekttag stattfand, bevor heute diese weitreichende Entscheidung getroffen wird. […]“ und weiter: „Diese PV-Anlagen werden in Teilen unser Dorfbild verändern, da darf und muss man bei dieser für uns in der Kommunalpolitik neuen Thematik kurz innehalten und sich über allgemein gültige Kriterien auch für weitere Projekte beraten.“ […].
Die CDU-Fraktion war sich allerdings in manchen Punkten, wie etwa den festgelegten Grenzen der Freiflächen-PV-Anlagen auch uneinig. Dr. Ulrike Keitlinghaus bemängelte zudem, dass die Festlegung der Kriterien erst zur Ratssitzung öffentlich geworden sind. „Die Bürgerschaft hätte mitdiskutieren müssen“, forderte die CDU-Politikerin mehr Öffentlichkeit bei künftigen Projekten.
Heino Teckentrup (FWG) sprach im Namen seiner Fraktion und begrüßte die Errichtung von PV-Anlagen im Außenbereich. Einen Kriterienkatalog als Grundlage für zukünftige Projekte sieht man als sinnvoll an. „Mit der Verabschiedung des Kriterienkatalogs macht unsere Gemeinde einen weiteren wichtigen Schritt zur Nutzung regenerativer Energien. Nun gilt es, die Änderung des Flächennutzungsplans der Gemeinde anzugehen, um die Grundlage für die weitere Bauleitplanung zu schaffen“, so Teckentrup.
Aus Sicht von Anne Claßen (SPD) können die Antragsteller zufrieden mit dem Kriterienkatalog. Man hätte gegebenenfalls auch eine Einzelbewertung in Betracht ziehen können.
Oliver Weinekötter (FDP) wies darauf hin, dass man sich nicht selbst für die Schnelligkeit auf die Schulter klopfen solle. Der notwendige Druck kam seitens der politischen Jugendorganisationen.
Bürgermeister Thegelkamp: „Das ist eine Sensation“
Den mit breiter Mehrheit zustande gekommenen Kriterienkatalog bezeichnete Bürgermeister Christian Thegelkamp als „Sensation“. Zuvor hatte Klaus Grothues (CDU) schon den Pilotcharakter für das Münsterland herausgestellt, den Bürgermeister Thegelkamp auf ganz NRW erweiterten: „Wir können uns echt freuen. Heute wurden Leitplanken gesetzt, die – wie ich vermute- für ganz NRW einzigartig sind. Das gibt Sicherheit für die Investoren. Das habt ihr richtig gut hinbekommen. Jetzt können wir die konkrete Umsetzung starten, und das ist wichtiges Signal an die Antragsteller. Das Fragezeichen ist kleiner geworden bei diesem extrem komplexen Thema“, so der Bürgermeister. Bereits am 15. März 2023 wird sich der Bauausschuss mit den einzelnen Bauanträgen beschäftigen.
Zusammenfassung, Fotos: B. Brüggenthies