Münster (mw). Seit über 40 Jahren widmet er sein Leben der Skateboardwelt. Titus Dittmann aus Münster gilt als „Vater der deutschen Skateboardszene“ und steckt vor allem Kinder- und Jugendliche auf der ganzen Welt mit seiner Leidenschaft für das rollende Brett an. Für sein jahrzehntelanges Engagement im sportlichen und gesellschaftlichen Bereich hat Regierungspräsidentin Dorothee Feller heute (21.10.2021) Titus Dittmann das Bundesverdienstkreuz am Bande im Lambertizimmer in Münster verliehen.
„Schon in jungen Jahren haben Sie ihre Leidenschaft fürs Skateboardfahren entdeckt und sich für den damals ungewöhnlichen Freizeitsport stark gemacht. Mit viel Herz und Engagement setzen Sie diese Leidenschaft ein, um Kinder- und Jugendlichen auf der ganzen Welt zu helfen.“ Mit einem Augenzwinkern ergänzt die Behördenleiterin, die auch für das Lehrerpersonal im Regierungsbezirk zuständig ist: „Auch wenn Sie dem klassischen Lehrerberuf den Rücken gekehrt haben, haben Sie ihre pädagogischen Talente im besonderen Maße für die Gesellschaft eingesetzt. Daher freue ich mich, Ihnen heute das Bundesverdienstkreuz zu verleihen.“
Titus Dittmann hat im Jahr 2009 die „Titus Dittmann Stiftung“, auch bekannt als „skate-aid“, ins Leben gerufen. Skate-aid setzt sich weltweit für Kinder und Jugendliche in Krisengebieten sowie für nationale Kinder- und Jugendprojekte ein. Titus Dittmann ist überzeugt davon, dass Skaten eine charakterbildende Kraft bei Kindern- und Jugendlichen hat. Beim Skateboarden komme es immer wieder dazu, dass man hinfällt – und wieder aufsteht. Mit jedem Aufstehen oder einem geglückten Trick entstehe ein Gefühl von Stolz und Selbstvertrauen.
Bereits in seinem Lehramtsstudium an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) in den 1970er Jahren hat er das Skateboarding für sich entdeckt und erkannte als angehender Pädagoge das Potential des Freizeitsports für die Jugendlichen. Während seines Referendariats gründete Titus Dittmann an einem Münsteraner Gymnasium eine Schüler-Skateboard-AG. Nach vier Jahren als Studienrat gab er 1984 den Lehrerberuf auf. Zuvor hatte er bereits eine Firma für Skateboard-Equipment gegründet. Das Unternehmen Titus eröffnete einen der ersten Skate-Shops Europas und ist bis heute eines der erfolgreichsten europäischen Unternehmen im Skateboard-Bereich und für sogenannte „Streetwear“. 2010 übergab Titus Dittmann die Geschäftsführung an seinen Sohn.
Projekte in Deutschland
Als im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 auch viele Minderjährige nach Deutschland kamen, bot skate-aid Workshops für diese Jugendlichen an. Unter Anleitung erfahrener Skatboarder waren die Jungen und Mädchen sofort auch ohne Sprachkenntnisse ein Mitglied der „community“. 2011 erhielt Titus Dittmann einen Lehrauftrag an der WWU. Seit 2012 bietet skate-aid mit wissenschaftlicher Begleitung durch die WWU spezielle Workshops unter dem Titel „Skaten statt Ritalin“ für Kinder und Jugendliche mit ADHS-Diagnose an. Nach dem Erfolg der Workshops wurde 2018 die „Sportpsychiatrische Ambulanz“ an der „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie“ des Universitätsklinikums Münster unter Beteiligung von Titus Dittmann gegründet. Ab 1982 organisierte er Skateboard-Turniere und holte weltbekannte Stars der Szene nach Münster. Fast ein Vierteljahrhundert lang bis 2005 wurden seine „Münster Monster Masterships“ ausgerichtet, die bereits 1989 zur Skateboarding-Weltmeisterschaft erhoben wurde. Unter seiner Regie entstand in Münster 1993 das „Skater’s Palace“ als Skatehalle und Jugendkulturzentrum. 2009 wurde er mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet. 2010 wurde das Projekt „skate-aid“ mit dem renommierten „Laureus Medien Preis“ ausgezeichnet.
Internationale Projekte
Seine Leidenschaft für das Skateboarden brachte Titus Dittmann 2009 zusammen mit weiteren Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) nach Afghanistan. Dort beteiligte sich skate-aid unter dem Motto „Skateboard statt Kalaschnikow“ an einer ersten Skate- und Sportanlage für 7.000 Schulkinder in Karokh. Skateboardfahren war in Afghanistan so unbekannt, dass es nicht als Sport verstanden wurde, der Mädchen verboten gewesen wäre. Als reines „Spiel“ war das Skaten dort auch für Mädchen gesellschaftlich akzeptiert.
Seit 2010 unterstützt skate-aid verschiedene Skateboard-Projekte auf der ganzen Welt: Angefangen von Skateboard-Workshops im Sudan, sozialen Projekten, um zum Beispiel Kinder in Mosambik von der Straße zu holen bis hinzu zum Bau von großen Skateparks in Costa-Rica und Kenia. Im Jahr 2013 ging skate-aid eine Partnerschaft mit dem Shangilia Kinderheim in Nairobi/Kenia ein und zusammen bauten sie einen Skatepark mit einer Größe von 1.000 Quadratmeter. Titus Dittmann und skate-aid kümmerten sich um die Finanzierung und besorgten Experten zum Bau des größten Skateparks in Ostafrika. Daraufhin folgten Skateparks in Bethlehem und Ruanda, die die Stiftung zusammen mit den SOS-Kinderdörfern weltweit auf die Beine stellten. Als erstes „intrinsisches Lernzentrum“ eröffnete skate-aid 2018 einen Skatepark in Windhuk (Namibia). Zuletzt hat er 2019 in Zusammenarbeit mit den SOS-Kinderdörfern weltweit, in Damaskus/Syrien einen neuen Skatepark eröffnet.
Fünf Fragen an Titus Dittmann:
1. Sie haben bereits viele Top-Auszeichnungen. Was bedeuten Ihnen diese Preise und jetzt das Bundesverdienstkreuz?
„Das Bundesverdienstkreuz am Bande bedeutet mir einiges. Das habe ich heute bei der Verleihung gemerkt. Vor 20 Jahren habe ich noch alle Auszeichnungen abgelehnt, aus Angst, ich könnte meine Glaubwürdigkeit in der Skateboardwelt verlieren. Aber seit ich weiß, dass die Angst unberechtigt ist, genieße ich auch die Akzeptanz und die Anerkennung des Establishments und freue mich sogar sehr, dort angekommen zu sein. Mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande bin ich nun ziemlich am Ende der Auszeichnungs-Fahnenstange angelangt. Aber das passt mit 72 Jahren sehr gut, um sich auch öfter mal einen genüsslichen Blick nach hinten gönnen zu können. Viel wichtiger aber ist mir, dass dieser Orden für mein Team und alle skate-aid-Supporter ebenfalls eine motivierende Bestätigung für ihr großartiges Engagement ist!“
2. Erfolg geht also nicht im Alleingang?
„Auf keinen Fall! Ohne meine starke Familie, ohne die vielen brennenden Herzen und ohne die vielen intrinsisch motivierten und begeisterten Menschen an meiner Seite, hätte ich das alles gar nicht stemmen können. An dieser Stelle ein großes „Danke“ an alle, die mich auf diesem Wege begleitet und ermutigt haben. Die Liste wäre zu lang, um alle aufzuzählen, aber jeder einzelne hat einen Platz in meinem Herzen.“
3. Sie haben schon so viel erreicht. Was kommt als Nächstes?
„Ich weiß, dass ich ein alter Sack bin und fühle mich so wohl dabei! Als ich Ende der 1960er Jahre auf die 30 zuging, hatte ich noch ein Problem mit dem älter werden. Aber mit jeder neuen „0“ wurde mein Leben immer geiler. Ich bin mir sicher, dass das mit 80, bei meiner nächsten „0“, so weiter geht. Wie sonst soll ich meine vielen Ideen für skate-aid, noch viele Kinder weltweit stark zu machen, umsetzen! Es gibt noch eine Menge zu tun und sicherlich immer mehr auch in Deutschland.“
4. Was macht Skateboarding als pädagogisches Werkzeug so interessant?
„Skateboarding ist Selbstbestimmung pur und sorgt gerade in unserer Gesellschaft für eine dringend notwendige Balance zur immer stärker werdenden Fremdsozialisation durch Eltern, Lehrer, Trainer und Kümmerer. Skateboarding bringt Kindern erwachsenenfreie Zeit zur Selbstsozialisation und Persönlichkeitsbildung. Skateboarding bringt gute Erkenntnisse fürs Leben wie „Nach dem Hinfallen kommt das Aufstehen und der Neuversuch!“, „selbstgesteckte Ziele lassen sich viel leichter erreichen als fremd vorgegebene und vor allem macht das Erreichen selbstgesteckter Ziele glücklich“. Es geht also um Selbstwirksamkeit, Anheben des Selbstkonzepts, Resilienz oder kurz gesagt: um Persönlichkeitsbildung. Skateboarding macht über das selbstbestimmte Lernen Kinder stark!“
5. Welche Auswirkung hatte die Pandemie auf ihr Schaffen?
„Da auch mein Schaffen sehr selbstbestimmt abläuft und ich von Lebensplanung wenig halte, sondern Flexibilität und Chancen nutze und bevorzuge, habe ich mein Schaffen sehr schnell den Gegebenheiten anpassen können. Als Unternehmer über fast fünf Jahrzehnte ist man ständig Krisenmanager, mal mehr mal weniger. Die Pandemie wird aber noch viele Auswirkungen auf das Schaffen bei skate-aid haben, da aufgrund der vielen einschränkenden Corona-Maßnahmen der letzten Zeit gerade bei Kindern, durch Bewegungsmangel und fehlender sozialer Kontakte, ein großer Nachholbedarf nicht nur im motorischen Bereich entstanden ist. Skateboarding als „bewegungsorientierte Jugendkultur“ und „ästhetische Gesinnungsgenossenschaft“ wird vielen Kindern mit Coronanachwirkungen wieder mit viel Spaß auf die Beine helfen und neue Freunde finden lassen. Ich bin froh, dass wir skate-aid mit den vielen pädagogischen Tools schon haben. Spätestens jetzt nach Corona hätten wir es sonst erfinden müssen.“
Quelle: PM Bezirksregierung Münster