Liesborn (mw/bb). Lässig baumelt das Lasso über dem Hut und schlängelt sich auf den Museumsboden. Zigaretten und Augen zerspringen aus dem Objekt und die Szenerie wirkt fast ein wenig grotesk und bisweilen etwas unheimlich. Unheimlich interessant! Die Ausstellung von Justine Otto im Museum Abtei Liesborn lässt die Betrachter staunen über eine Künstlerin, die einst mit außergewöhnlichen Frauenporträts Bekanntheit erlangte und nun mit überdimensionalen reitenden Cowboys in Neon-Optik neue fantastische Geschichten erzählt. Beim „Artist Talk“, einem Künstleringespräch, nahmen die Künstlerin Justine Otto und Kuratorin Saskia Timmas die Museumsgäste mit auf einen unvergesslichen Rundgang durch die aktuelle Sonderausstellung.
Justine Otto kam in jungen Jahren nach Deutschland und zeigte schon als Kind eine große Begeisterung für Kunst. Das Malen übte eine besondere Faszination aus und früh waren es auch besondere Motive, die gemalt werden mussten: Gärten mit leuchtenden Tulpen in Omas Garten. „Ab und zu lagen auch tote Vögel im Garten meiner Oma. Ich legte einen Mini-Friedhof mit Blumenarrangements an“, berichtete Justine Otto von ihren kreativen Anfängen, die bis heute nachwirken. Vögel und junge Mädchen finden sich in den frühen Arbeiten der Künstlerin immer wieder. Aber auch ein bestimmter Bruch bestimmt die Bilder. Irgendwo passiert immer etwas in den Werken und so werden die Szenen zu einer spannenden Entdeckungsreise für jeden Betrachter.
Bei der aktuellen Ausstellung bestimmt die weite Prärie das Gesamtbild. Es stehen dabei nicht mehr Frauen im Mittelpunkt, sondern lassoschwingende Cowboys auf reitenden Pferden. Die Figürlichkeit löst sich in den Bildern nahezu gänzlich auf. Fantasievoll erwachen männliche Archetypen zum Leben. Mal als kleinformatiges Porträt, dann wieder als raumhohes Gemälde oder als zusammengesetzte Figur, die an der Malerei anknüpft: Justine Otto zerpflückt ihre eigenen Ideen, interpretiert sie auf ihre eigene Art und setzt sie neu zusammen.
Eine Besonderheit ist die verwendete Technik. Nach einer Grundierung mit neonfarbenen Pigmenten entsteht ein faszinierendes Werk mit Strahlkraft. Durch gezieltes Abreißen und Abkleben setzt die Künstlerin mit irher Technik Akzente. Die Werke beginnen zu leuchten. Justine Otto arbeitet oft in Serien und experimentiert. Der Wilde Westen mit seinen Reitern und ihren Lassos strahlt eine bestimmte Schönheit aus. In ihrer Abstraktion und mit den leuchtenden Farben wirken die Gemälde lebendig und lassen sich am wohl ehesten dem Expressionismus zuordnen.
Inspiration schöpfte Justine Otto bei ihrer neuen Serie auch aus der Corona-Zeit. Die Sehnsucht nach Konzerten und Musik spiegelt sich auch in den Kunstwerken wider. Andere Werke wurden von „lost places“ (verlassenden Orten) inspiriert. Im zweiten Ausstellungsteil überrascht die Darstellung in Form eines Wohnzimmers. Mit passender Blümchentapete wird ein Raum gestaltet, der die Welt des Films „Das weiße Band“ (Michael Haneke) zum Leben erweckt, der eine Kindergeschichte zur Zeit des 1. Weltkriegs erzählt. Um Erzählungen geht es auch bei diesem Ausstellungsteil. Collagenartig hat Justine Otto seit 2011 immer neue Werke hinzugefügt und präsentiert ihre Kunst hier als Einheit nebst Tierpräparaten, Perserteppich und Ohrensessel. Ein scheinbar wunderbares Idyll mit einem Hauch von Dystopie entfaltet sich. Menschliche und tierische Augen ergänzen die unheimlichen Szenen und hinterlassen einen bleibenden Eindruck beim Betrachter. Jedes Bild, jedes Objekt erzählt seine eigene Geschichte.
Wie betrachtet man nun also das unheimliche faszinierende Werk? Am besten direkt vor Ort. Die Sonderausstellung LE VENT NOUS PORTERA mit den Ölgemälden und plastischen Arbeiten von Justine Otto ist noch bis zum 5. September im Museum Abtei Liesborn zu sehen. Am 20. August (15.30 Uhr) und am 4. September (14 Uhr) sind zudem noch Führungen vorgesehen. Weitere Infos dazu unter www.museum-abtei-liesborn.de.
Fotos/Text: mw/bb.