Diestedde (mw/bb). Der Kaffee ist frisch aufgebrüht, daneben steht ein kleiner Teller mit Gebäck: Nussecken vom heimischen Bäcker am anderen Ende des Dorfes. Auf dem Ateliertisch liegen zwei Mappen mit Aquarellen. Die Arbeiten eines ganzen Winters. Walter Jasper war fleißig und nutzte die Zeit zuhause in seinem „blauen Giebel“, um neue Werke zu schaffen und seine alten Schöpfungen hervorzuholen und neu zu interpretieren und wieder sichtbar zu machen.
Wer außer Walter Jasper verkörpert den Begriff „Heimat“ und „Künstler“ mehr als der weißhaarige Mann mit dem markanten Vollbart, der in diesem Jahr sein 81. Geburtstag feiert und seine Ateliergäste mit einem Lächeln, einem Apfel oder einer Tasse Kaffee begrüßt? Umgeben von Formen und Farben fühlt sich nicht nur der Heimatkünstler wohl hier, sondern auch alle Entdeckerinnen und Entdecker, sie sich neugierig auf eine Rundreise durch das bewegte Schaffen und Leben des Diestedder Heimatkünstlers an der Steinackerstraße machen. Jeder Besuch ist einzigartig – so wie die Geschichten, die Walter Jasper aus seinem Fundus an Begegnungen und Begebenheiten zum Besten gibt. Ausgerechnet zu seinem 80. Geburtstag machte das Coronavirus der Jubiläums-Geburtstagsausstellung einen Strich durch die Rechnung. Die fehlende Kommunikation mit Kunstinteressenten wurde mit dem Schaffen im Garten und im Atelier ausgeglichen. „Die Ausstellung hole ich einfach in diesem Jahr nach“, lacht Walter Jasper verschmitzt und holt das Ankündigungsplakat hervor. Hier hat der Künstler nachhaltig gedacht und einfach die Jahreszahl auf dem Papier übermalt. Ab Juni – sofern es die Inzidenzzahlen zulassen – öffnen sich die Tore zum „Kunstforum Blauer Giebel“ wieder.
Der kreative Schaffensdrang von Walter Jasper ist ungebrochen. Kein Tag vergeht, an dem Farben und Pinsel ungenutzt bleiben. Alle möglichen Dinge werden zu Kunst. In jedem Werk atmet das Landleben mit. Während die Nussecke Stück für Stück kleiner wird, wird der Stapel an Mappen auf dem Tisch größer. Vorsichtig öffnet der Künstler das Halteband und nimmt die handgefertigten Büttenpapiere heraus. „Meine Werke sollen ja nicht im Regal stehen und in Vergessenheit geraten“, sagt Jasper und präsentiert einen Schwung älterer Aquarelle, die er collagenartig neu angeordnet und mit Geschichten und Gedichten angereichert hat. Hier zeigt sich wieder die Vielfalt der Kunst.
Nach Farben und Formen hat Walter Jasper auch das Wort für sich entdeckt. Es sind kleine Geschichten, Anekdoten und Erinnerungen, die hier zu neuem Leben erwachen. Die Bilder zeigen den „Diestedder Berg“, die Außengräfte von Crassenstein. Letzteres noch in rosafarbenem Gewand. Auch ohne den Text erzählt jedes einzelne Bild eine kleine Geschichte. Illustrierte Erzählungen über das Münsterland. Besonders angetan haben es dem Diestedder aber auch die Heimatdichter Wibbelt und Rottendorf. Auch ihnen widmet er eine Sammelmappe mit einer Vielzahl an künstlerischen Interpretationen. Vor allem „Dat Pöggsken“ ist natürlich gut bekannt. „Die Abende waren lang im Winter“, denkt Walter Jasper an die dunkle Jahreszeit zurück und nimmt noch einen großen Schluck Kaffee aus der bunten Tasse.
Weidengeflüster, Mondschein, münsterländische Landschaften: Viele Werke sind direkt der Romantik entsprungen. Hier auf dem Dorf ist die Welt noch in Ordnung. Wenn Kunst entsteht, beschränkt sich der 81-Jährige aber nicht auf das „objet trouvé“ – ein Fundstück, das er in Form bringt und in bunte Farben hüllt. Er geht einen Schritt weiter. Die Region, die Welt, das Weltall: Walter Jasper sieht die Farben und bringt sie zu Papier. Neben den Miniaturen und den „losen Blättern“ beeindrucken die großen Werke, die aus einer Unterwasserwelt oder einer anderen Galaxie entsprungen sein könnten. Ein Atelierbesuch des „Blauen Giebels“ sollte zum Pflichtprogramm gehören. Die „Große Retrospektive“ ist viel mehr als nur eine Jubiläumsausstellung: Sie ist eine kleine Zeitreise durch das Schaffen eines Künstlers, der sich der Heimat verbunden fühlt und das in seinem Werk zum Ausdruck bringt und die Betrachter mitnimmt auf eine unvergessliche Wanderung.
Fotos/Text: mw/bb.