Münster/Wadersloh (mw/pm). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier traf am Dienstag in Münster Vertreter von Berufsgruppen, die sich in der Corona-Krise besonders engagieren. Auch die Heimleiterin des Seniorenheims Haus St. Josef in Wadersloh, Astrid Thiele-Jérome, gehörte dazu und berichtete von dem Gespräch.
Im Anschluss an den Staatsbesuch von König Willem-Alexander aus den Niederlanden anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Deutsch-Niederländischen Corps nimmt sich das deutsche Staatsoberhaupt 75 Minuten Zeit, um mit vier engagierten Bürgerinnen und Bürgern verschiedener Arbeitsbereiche zu sprechen, die durch die Corona-Krise besonders betroffen sind. Dazu gehört auch die Pflege. Die weiteren Gesprächsteilnehmer werden eine Polizistin, ein Straßenreinigungs-Mitarbeiter und ein selbstständiger Einzelhändler sein.
„Am vergangenen Donnerstag hat mich das Bundespräsidialamt zu Hause angerufen. Ich konnte das erst gar nicht glauben“, berichtet Astrid Thiele-Jérome. Die Heimleiterin ist vom Verband katholischer Altenhilfe in Deutschland e.V. als eine von vier Kandidatinnen und Kandidaten für das Gespräch vorgeschlagen worden. Geschäftsführer dieses Verbandes in Berlin ist Andreas Wedeking, der das Seniorenheim St. Josef bis Ende 2018 geleitet hatte. „Er hatte mich schon vor Monaten darüber informiert, dass er mich vorschlagen würde, weil er ja auch intensiv verfolgt hat, wie wir in Wadersloh mit der Corona-Situation umgehen“, sagt Astrid Thiele-Jérome – „aber ich hätte nie damit gerechnet, tatsächlich eingeladen zu werden.
Das Seniorenheim St. Josef und der Umgang mit Corona
Zu den getroffenen Maßnahmen im Haus St. Josef gehörte beispielsweise die Einrichtung einer Quarantäne-Station für neue Bewohnerinnen und Bewohner. Für Besuchsgäste wurden eigene Begegnungsbereiche unter Berücksichtigung von Hygienevorgaben geschaffen. Und das nebenan liegende Quartierszentrum hat das Mitarbeiterteam vorsichtshalber sogar zu einer Isolierstation umfunktioniert. „Die musste bisher nicht in Anspruch genommen werden“, freut sich Astrid Thiele-Jerome. Denn in den Einrichtungen des Verbundes der Seniorenhilfe SMMP der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel, dem auch das Haus St. Josef angeschlossen ist, hat es noch keinen Infektionsfall gegeben.
Freizeitangebote und Dienstleistungen, die üblicherweise externe Dienstleister übernehmen, haben eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeführt. Dazu gehört der eigene Frisörsalon. Pflegedienstleiter Alexander Hauffen hat als ausgebildeter Musikgeragoge das musikalische Programm im Haus übernommen. Und Altenpflegerin Martina Drews, die auch ausgebildete Seelsorgerin ist, feiert mit den Bewohnerinnen und Bewohnern Gottesdienste. So brachten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser Phase ihre vielseitigen Qualifikationen und Fähigkeiten in den Alltag des Seniorenheims ein – bis heute. „Davon will ich dem Bundespräsidenten gerne berichten“, sagt Astrid Thiele-Jerome.
Die 55-Jährige freut sich, dass Frank-Walter Steinmeier der Pflege mit diesem Gespräch seine Anerkennung entgegenbringt. „Auch die Bonuszahlung an die Pflegekräfte war ein sehr positives Zeichen der Politik“, sagt die Heimleiterin. Als Stellvertreterin für die Altenpflege möchte sie aber auch einige Wünsche äußern: „Schön wäre es natürlich, wenn unserer Branche dauerhaft mehr Anerkennung zuteil käme – nicht nur in Krisenzeiten.“ Das bezieht sie auch auf die öffentliche Berichterstattung in bundesweit erscheinenden Zeitungen oder im Fernsehen: „Wenn es Probleme in einem Heim gibt, wird sofort groß darüber berichtet. Aber es gibt so viele außergewöhnlich positive Geschichten, die viel zu wenig Beachtung finden.“
Im Vorfeld des Gesprächs sagte Astrid Thiele-Jérome: „Die Pflege ist für mich der schönste Beruf, den es gibt“, betont sie – und sie hofft, auch etwas von ihrer Begeisterung für diese wichtige Aufgabe vermitteln zu können.
Im Gespräch mit dem Bundespräsidenten: Ein Rückblick
Ohne die Journalisten und Kameraleute hinter ihrem Rücken wäre es Astrid Thiele-Jérome am Dienstagmittag fast so vorgekommen, als hätte sie beim Bundespräsidenten privat im Wohnzimmer gesessen: „Die Atmosphäre des Gespräches war wirklich offen und herzlich. Und ich habe das Gefühl, Frank-Walter Steinmeier hat uns sehr gut zugehört und ganz viel mitgenommen.“
75 Minuten lang saß die Leiterin des Seniorenheims Haus St. Josef in Wadersloh dem Staatsoberhaupt an einem großen runden Tisch in einem Saal des Schlossgarten Cafés in Münster genau gegenüber – zusammen mit einem Einzelhändler, einer Polizistin und einem Mitarbeiter der Straßenreinigungsdienstes. Vertreterinnen und Vertreter dieser vier Branchen waren von dem Bundespräsidenten eingeladen worden, um mit ihm über ihre Erfahrungen aus der Corona-Krise zu sprechen. Kurz zuvor hatte er in Münster schon das Universitätsklinikum besucht.
„Er wollte wissen, wie wir die Herausforderungen bewältigt haben, was wir aus den Erfahrungen für die Zukunft lernen und was bleiben wird“, sagt Astrid Thiele-Jérome. Dabei sei es vor allem um das Thema Wertschätzung gegangen.
„Die Bonuszahlungen an unsere Pflegekräfte wurde sehr wohl als Zeichen der Anerkennung wahrgenommen“, sagt die 55-Jährige. Jedoch sei die Berichterstattung im Fernsehen und in überregionalen Medien vor allem zu Beginn der Epidemie auf das Infektionsgeschehen in den Senioren-Einrichtungen fokussiert gewesen: „Es ging immer darum, was vielleicht und falsch gemacht und versäumt worden ist. Aber wenig darum, was da gerade alles an Herausforderungen bewältigt und gut gemacht wird.“ Sie ist überzeugt: „Bei uns im Haus St. Josef haben wir sehr vieles gut und richtig gemacht. Vor allem überwältigt mich, mit wieviel Solidarität und Kreativität wir diese Situation bisher im ganzen Team gemeistert haben.“
Natürlich hat sie dem Bundespräsidenten vor allem davon berichtet: wie schwierig es war, im März Handwerker zu bekommen, um die Quarantäne-Station einzurichten; wie man es geschafft habe, in einem Zelt einen Begegnungsbereich mit Trennscheiben für Besucher einzurichten; wie die eigenen Mitarbeiter bis heute die Organisation von Freizeitangeboten übernehmen – und wieviel Verhandlungsgeschick notwendig war, um im Frühjahr einen Lieferanten für Masken zu finden. „Bei der ersten Lieferung, die wir vom Technischen Hilfswerk bekamen, handelte es sich um Masken zum Selber-Basteln“, erinnert sich Astrid Thiele-Jérome. Als sie das am Dienstagmittag erzählte, habe der Bundespräsident laut gelacht – und mit ihm die Journalisten hinter ihrem Rücken. „Aber das war tatsächlich so: Das Paket beinhaltete 50 Meter Gummiband, Papier und Nasenclips“, weiß sie genau.
Dass es in Deutschland künftig ausreichend Vorräte an solchen Masken geben muss, sei sicher eine der Erkenntnisse, die aus der Corona-Krise blieben. Doch hofft Astrid Thiele-Jérome vor allem, dass man den Pflegekräften dauerhaft mehr Anerkennung entgegenbringt. Mehr Respekt wünschen sich ebenso die Polizistin, der Einzelhändler und der Mitarbeiter aus der Straßenreinigung, die an dem Gespräch in Münster als Vertreterinnen und Vertreter ihrer Berufsgruppen teilnahmen. „Der Leiter zweiter Supermärkte berichtete sogar von Kunden, die sich gegenseitig die Einkaufswagen wegnahmen oder um Klopapier prügelten. Und die Polizistin ist es leid, von Menschen angepöbelt zu werden, die sie zum Tragen der Maske auffordert“, erfuhr die Heimleiterin aus Wadersloh.
Solche Szenen hätten sich in ihrem Haus nicht abgespielt – „das auch deshalb, weil wir unsere Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Angehörige gut kennen. Und trotzdem gab es sehr viel zu kommunizieren und zu vermitteln.“ Sie ist überzeugt, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einiges aus dem Gespräch mitnimmt: „Er hat gut zugehört und sehr gezielt nachgefragt. Sein Referent hatte mir schon vorher versprochen: ‚Reden Sie ganz offen mit ihm. Er behält sehr viel und bringt es an der richtigen Stelle wieder an‘.“ Und auch sie wird im Haus St. Josef gerne über diese Begegnung berichten: „Ich habe gespürt, dass er unsere Arbeit wertschätzt. Das gebe ich sehr gerne weiter.“
Quelle: SMMP, U. Bock / Foto (1): SMMP, Foto (1): Bundesregierung, Archivfotos: Brüggenthies (2)