Wadersloh (mw/bb). Wolfram Wenner klappt das iPad auf und bewegt die Finger über das Display. Innerhalb von Sekunden taucht ein Übersichtsfenster auf und 12 Gesichter blicken den Oberstudenkoordinator erwartungsvoll an. Der Digitale Chemie-Unterricht kann beginnen! Der Schulalltag im Jahr 2020 ist durch Corona anders als jemals zuvor. Mein-Wadersloh.de hat mit Hans-Jürgen Lang, Schulleiter des Gymnasiums Johanneum, und Oberstufenkoordinator Wolfram Wenner über den Schulunterricht in Corona-Zeiten gesprochen.
Der Schulhof ist in Quadranten eingeteilt, Flatterband weht im WInd und schlängelt sich auch durch die Aula des Johanneums. Unter den wachsamen Augen von Schulpatron Sankt Franziskus passiert ein Schüler die Bronzestatue auf dem Weg zur Toilette. Es ist totenstill im Schulgebäude. Kein Lachen, kein Lärm aus den Klassen dringt durch die Klassenräume nach außen. Nahezu gespenstisch wirkt der Ort, an dem normalerweise hunderte Schülerinnen und Schüler die Schulbank drücken. Seit dem heutigen Dienstag werden wieder ganze Jahrgänge vor Ort unterrichtet. Heute sind die 5. Klassen an der Reihe. Aufgeteilt in mehreren Gruppen sind die Schülerinnen und Schüler über das ganze Gebäude verteilt. Nur so kann der Mindestabstand eingehalten werden. Die Mädchen und Jungen sitzen zwar weit auseinander, aber so nah‘ waren sie sich seit Monaten nicht. Die soziale Komponente des „Miteinanders“ ist etwas, was die Zoom-Video-Konferenzen nicht ersetzen kann.
„In den letzten Wochen haben wir die Schüler digital erreicht und auch die Abitur-Vorbereitungen wurden so durchgeführt. Sukzessiv werden nun immer mehr Jahrgänge vor Ort unterrichtet. Aber auch die Video-Konferenzen werden immer wichtiger. So oder so brauchen wir eine klare Struktur für das ‚home schooling‘. In Absprache mit den Eltern und Schülern halten wir uns auch online an den Stundenplan“, erklärt Schulleiter Hans-Jürgen Lang. Für die Schülerschaft heißt das auch: Früh aufstehen. Um 7.30 Uhr ist Schulbeginn. Oberstufenkoordinator Wolfram Wenner stellt die Konferenz mit seinen Schülern auf „stumm“ und berichtet von den Erfahrungen, die das Kollegium seit März mit dem Digitalen Unterricht gesammelt haben. Für ihn und auch Schulleiter Hans-Jürgen Lang ist Schule nicht nur reine Wissensvermittlung: „Die Schule ist auch eine Art zweites Zuhause. Aufgrund der Coronasituation standen wir vor einem Dilemma. Die Schule ist auch der Ort des sozialen Lernens und des Zusammenseins. Aber Sicherheit und Gesundsheitsschutz stehen an oberster Stelle“, so die Lehrer. Am Johanneum geht man mit der Sache behutsam um. Präsenzunterricht ist nur mit entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen möglich. Maximal eine Jahrgangsstufe pro Tag ist aufgrund der räumlichen Situation machbar. Die drei Sexta-Klassen (Klasse 5) sind jeweils in drei Gruppen unterteilt. In neun Lerngruppen stehen die Kernfächer Deutsch, Mathe und Englisch auf dem Lehrplan des Vormittags. Das Konzept wurde in Abstimmung mit dem Schularzt abgestimmt. So soll bis Sommer zumindest ein wenig Normalität in den Schulalltag einkehren.
Aus dem Kollegium sind in diesen Tagen zunächst nur die jüngeren Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Die älteren Lehrer*Innen treten weiterhin via Video-Call mit den Schülern in Kontakt. Dazu hat das Gymnasium Johanneum mit viel Einsatz eine eigene Dokumenten-Cloud zum Austausch des Lernstoffs entwickelt. Die Schüler werden darüber umfassend über die Situation informiert und mit Arbeitsmaterialien versorgt. Zugleich gibt es auch ein Digitales Aufgabenheft und einen Rückgabeordner. Benotet wird der Digitale Unterricht jedoch nicht. Hier wird bei den Lehrern der Ruf nach verbindlichen Vorgaben seitens des Schulministeriums laut.
Seit Mitte März war von allen Seiten vor allem Disziplin und auch Kreativität gefragt. Nach den Schulschließungen legte man am Johanneum den Fokus zunächst auf die Abschlussklassen (Q2). Die Abiturienta wurde online unterrichtet und das funktionierte gut, wie die Pädagogen rückblickend die Situation bewerten. In der Q1 lief es anfänglich noch etwas unkoordiniert. Auch, weil der digitale Unterricht unpersönlicher verläuft und es am direkten Austausch fehlt. Diese Probleme konnten dann aber schnell gelöst werden. Mit den Zoom-Video-Meetings wurde eine Tagesstruktur sichergestellt. Selbst an die Eltern wird gedacht: Eine Onlinesprechstunde zwischen 20-21 Uhr erlaubt den Austausch zwischen Lehrern und Eltern. Hier konnte die Schule wichtige Erfahrungen für den späteren Regelbetrieb machen. Ganz ohne Kommunikationsregeln geht es dann aber dann auch nicht: Wer den Unterricht mehrfach stört, kann ’stumm‘ gestellt werden. Selbst Gruppenarbeit ist mit den neuen Video-Tools möglich. „Wir wollen die Lücken durch den Unterrichtsausfall möglichst klein halten. In den Videokonferenzen sehen wir eine gute Vorbereitung auf die Uni, auch wenn sie kein Ersatz für das normale Lernen sind. Die Schüler werden aber selbstständiger“, sagt Hans-Jürgen Lang. Im Kollegium wurde man ebenfalls kreativ. Neben einem Digitalen Lehrerzimmer hilft man sich gegenseitig mit Erklärvideos – eine bis dato unbekannte Form der Hilfe, die sehr gut ankommt.
Anfang Juni stehen die mündlichen Abi-Prüfungen an. Die schriftlichen Prüfungen wurden in der ehemaligen Realschule durchgeführt, da hier ausreichend Platz zur Verfügung stand für die 85 Abiturienten und man kein Risiko vor den Abschlussprüfungen eingehen wollte. Auch hier war sorgfältige Planung gefragt. Fiebermessen, Desinfektion, Lüftung, Abstand: Der neue Schulalltag wird die Schülerinnen und Schüler noch eine ganz Zeit lang begleiten. Eines steht fest: Ferien bleiben Ferien. Der ausgefallene Unterricht soll nicht im Sommer nachgeholt werden. Was die Zeugnisübergabe angeht, wird bereits geplant. Die Schüler sollen ihr Zeugnis persönlich von ihrem/r Klassenlehrer*In bekommen. Es bleibt die Hoffnung, dass bald wieder der Normalbetrieb Einzug hält. Trotz der Widrigkeiten ist man am Gymasium Johanneum stolz, dass Eltern, Schüler und Lehrer an einem Strang ziehen: „Es ist viel Arbeit. Aber alle sind bemüht und engagiert“, so die Schulleitung.
Fotos/Text: B. Brüggenthies