Beckum (mw/bb). Der Einzelhandel und vor allem die familiengeführten Geschäfte sorgen in den Dörfern und Städten für Leben. Weihnachten ohne Einkaufsbummel und anschließendem Belohnungs-Haselnusskaffee (oder Kakao) mit einem großen Stück Apfelkuchen und noch einem noch größerem Schlag Sahne obendrauf im Lieblings-Café an der Ecke? Unvorstellbar! Warum ich seit einigen Wochen ganz bewusst in diesen Läden einkaufe und oft stundenlang in Cafés sitze, könnt ihr nachfolgend lesen. Aber nehmt euch bitte ein paar Minuten Zeit dafür.
Kennt ihr das mit der Digitalisierung? Dass ist das, was euch stundenlang an social media-Plattformen fesselt, euch die Partnerwahl (Tinder) per „swipe“ (das heisst so viel wie wischen, aber gemeint ist nicht das mit dem Mob, sondern das mit den Fingern auf dem Touchscreen des Smartphones) und euch in Sekundeneile von einem digitalen Bücherregal zum nächsten gleiten lässt. Ach ja, die Digitalisierung ermöglicht es euch auch, komplette Serienstaffeln an einem Sonntagnachmittag zu „binge-watchen“ (alle Folgen an einem Stück schauen).
Digitalisierung zeigt, wie bequem wir geworden sind. Ach, das Buch bestelle ich schnell im Internet. Das ist ja dann morgen auch da und ich muss es dann nicht mit mir rumschleppen. Oh, die Schuhe gibt es hier im Laden nicht in meiner Größe, aber online gibt es noch welche. Ich bin dann mal weg! So wie die ganzen Läden in den Städten und Dörfern. In unserer Nachbarstadt Beckum gibt und gab es halbes Dutzend Läden, die ich bis heute mit meiner Kindheit in den 1980er- Jahren verbinde. Dazu gehören vor allem die Spielzeugläden, in denen ich so viel entdecken konnte: Der Spielzeugladen am Hindenburgplatz, den ich immer „Blumenbecker“ genannt habe, der aber eigentlich „Stöwer“ hieß. Der sehr viel kleinere aber ebenso liebevoll geführte Laden „Schermuly“ in der Nordstraße 6, in dem mir zu viele Spielzeug-Eisenbahnen standen und natürlich das Spielwarengeschäft „Hagedorn“ am anderen Ende der Nordstraße. Das Spielzeugwarengeschäfts-Dreigestirn in Beckum sorgte für leuchtende Augen bei mir und meinen Geschwistern. Zumal auch der Besuch in der Eisdiele und der Besuch des Wochenmarkts für viel Abwechslung bei neugierigen Kindern sorgte. Vor allem zur Weihnachtszeit, wenn das große Fest immer näher rückte und die „Weihnachtsbäckerei“ von Rolf Zuckowski in den Kaufhäusern und zuhause beim Frühstück im Radio lief, war die Sehnsucht nach Spannung, Spiel und Spielzeug groß.
Alle drei Läden sind mittlerweile Geschichte: Mit Hagedorn schloss der letzte Spielwarenladen in der Püttstadt vor wenigen Tagen. Eigentlich wollten die Inhaberinnen, die Geschwister Anne Hagedorn-Jasper und Carola Hagedorn-Feige, noch bis Ende November mit den restlichen Spielwaren abverkaufen, doch die Kunden waren wohl schneller und ich stand am vergangenen Samstag vor verschlossenen Ladentüren. Ich war irgendwie zu spät und nur die großen und liebevoll gestalteten „Dankeschön“- und „Macht’s gut“- Banner offenbarten mir, dass der Laden nun für immer geschlossen hat. In den leeren Regalen stehen nur noch ein paar Zeitzeugen aus Plüsch und in meinem Kopf wurden die schönen Erinnerungen an die unzähligen Momente zwischen Klemmbausteinen, Game Boy-Spielen und Revell-Modellflugzeugen wach.
Wie konnte es nur soweit kommen? Bei den Geschwistern Hagedorn fand sich kein Nachfolger, der den Laden weiterführen wollte. Nach 70 Jahren Familientradition endet eine Ära. Kein Smalltalk mehr über die neuesten Lego-Trends, die kuscheligsten Steiff-Teddy-Bären und die angeregte Diskussion darüber, welche Puppe es für das Neugeborene der Cousine zweiten Grades werden soll. Und irgendwie stirbt damit ein Teil meiner Kindheit. Das Schlimmste daran ist mein Selbstmitleid. An diesem Samstag stand ich mit meiner Kamera vor der Ladentür, durch die so viele Generationen hindurch gegangen sind und so viele Kinderaugen zum Leuchten gebracht wurden. Wo schon Großeltern Spielzeug einkauften und heute die Enkelkinder vor den großen Schaufenstern stehen und von einer XXL-Playmobilfigur hinter Glas und dem Schild „Danke für Alles“ begrüßt werden.
Ich erinnere mich an den Geruch von neuen Gesellschaftsspielen. Den sorgsam eingepackten Spielkarten, dem Duft von Holzfiguren. Das Gefühl und die Vorfreude, ein neues Game Boy-Spiel mit nachhause zu nehmen und die Spielkassette zum ersten Mal in den Schacht der Spielekonsole zu stecken. Das Pling-Geräusch beim ersten Spielen, die Melodien von Tetris und den knapp verpassten Highscore, den Tante Karin dafür am nächsten Wochenende brechen wird. Diese Zeit ist lange vorbei und doch immer noch so präsent. Ich sehe die freundlichen Gesichter der Verkäuferinnen und Verkäufer immer noch vor mir. Diese Menschen liebten ihren Beruf und den Kontakt mit den Kunden so sehr, wie ich das neue „Turtles“-Videospiel und das neue Lego Raumschiff-Set mit den zwei neuen Sammlerfiguren.
Was also bleibt, ausser dem Gefühl der Leere und einem weiteren Leerstand im Herzen Beckums? Ein guter Vorsatz: Ich möchte, nein ich muss die kleinen Läden vor Ort mehr unterstützen. In einem Buchladen wenige Meter von Spielwaren Hagedorn entfernt kehre ich seit einigen Wochen regelmäßig ein. Auch am Samstag öffne ich die Ladentür und werde von der Dame hinter dem Verkaufsstresen freundlich gegrüßt. Ich schlenderte durch den Laden, entdeckte ein Buch und fragte nach Meinungen anderer Kunden zu dem Titel. Die Verkäuferin rückte ihre Brille zurecht und kam ein paar Schritte näher, nahm das Buch in die Hand und sagte: „Ja, das ist ganz toll. Das habe ich auch schon gelesen.“ Sie lächelte und kümmerte sich um Bestellungen. „Ach, ich soll für meine Mutter noch den neuen Band ihrer Lieblingsbuchreihe bestellen. Ich komme gerade nicht auf den Titel.“ – „Das erscheint Ende November. Ich kann es Ihnen bestellen.“ Das Bestellen von Büchern dauert nicht mal einen Tag – dass weiss ich schon aus Erfahrung. Die Dame aus dem Buchladen kauft regelmäßig bei meinem Bruder ein, der einen Gemüsestand auf dem Wochenmarkt betreibt, und wird auch dieses Buch am gleichen Tag nach dem Erscheinen in einem Schutzumschlag aus Recyclingpapier zum Marktstand bringen. Das ist nicht nur ein aussergewöhnlicher und toller Service, sondern ist auch das Gefühl, dass ich damals hatte, als ich mit einem neuen Game Boy-Spiel oder Gesellschaftsspiel aus einem der Spielzeugladengeschäfte kam.
Während ich in einem kleinen Café an der nächsten Ecke noch einen Cappuccino trinke und in dem neuen Buch blättere, freue ich mich schon auf die nächste menschliche Begegnung in einem Buchladen, einem Spielzeuggeschäft, bei einem Handwerksbäcker, an einem Wochenmarkt-Stand, in einem Fahrradladen und dem Schumacher, der meine Lieblingsschuhe repariert. DANKE, dass es euch gibt! Und falls jemand von Stöwer, Schermuly oder Hagedorn das hier liest: DANKE für die schönen Kindheitserinnerungen!
Euer Benedikt von Mein-Wadersloh.de
Welche Läden wecken bei euch Kindheitserinnerungen? Welcher Spielzeugwarenladen oder welches Geschäft in Wadersloh, Diestedde und Liesborn gehört/e für euch zum Dorfbild dazu? Welche Eisdiele und welches Café darf nie in Vergessenheit geraten? Schreibt mir gerne! | Analog per Brief, Postkarte oder Eulenpost an Brüggenthies Marketing, Redaktion Mein-Wadersloh.de, Waldstraße 26, 59329 Wadersloh, Digital: Facebook | Instagram | E-Mail
Fotos/Text: B. Brüggenthies