Wadersloh (mw/bb). Die Wilhelmstraße in Wadersloh trägt nicht nur einen geschichtsträchtigen Namen, sondern hat auch genauso viele Geschichten zu erzählen. Derzeit haben die Bauarbeiter das Sagen. Schwere Baumaschinen bearbeiten in diesen Tagen die Straße.
„Die Bauarbeiter der Wasserversorgung stoßen dabei aber nicht nur auf Kley, Sand und Lehm, sondern auch auf die Reste des einstigen Straßenbelags, die von Eltern und Großeltern begangen wurden“, erzählt Anwohner Ernst Reineke. In diesen Tagen der Wadersloher nachdenklich geworden. Seit 34 Jahren lebt Reineke mit seiner Familie in einem markanten Fachwerkhaus – ausgerechnet genau gegenüber der Gaststätte „Fuchshöhle“. „Das war völliger Zufall“, lacht Reineke (Anmerkung: „Reineke Fuchs“ war die Hauptfigur einer Verssammlung im Mittelalter und avancierte in Europa zu einem Bestseller) und lässt sich auf ein gemütliches blaues Sofa in seinem Wohnzimmer nieder. Das kleine urgemütliche Wohnzimmer der Familie Reineke wirkt fast wie ein kleines Museum. Überall entdeckt man kleine und große Schätze. Viele von ihnen haben nur einen ideellen Wert und doch birgt jedes einzelne eine Geschichte. Doch darum geht es in dieser Geschichte nicht, denn auch wenn das Klavier aus dem 19. Jahrhundert und eine spanische Madonna viel Erzählstoff böten, soll heute das Thema Wertschätzung im Mittelpunkt stehen oder wie Ernst Reineke sagt: Aus alt mach anders.
Bei Kaffee und Keksen stellt sich schnell eine gastliche Atmosphäre ein. Die Geschichten der einzelnen Fundstücke faszinieren ebenso wie die unzähligen Gemälde, die die Tenne der Familie Reineke zieren. Hier hat sich Ernst Reineke in mehreren Jahrzehnten selbst verwirklicht, sich von namhaften Malern inspirieren lassen. Romantische Landschaften, Porträts. Mal realistisch, mal surreal. Hier und da ist auch die Pfarrkirche St. Margareta verewigt. Ernst Reineke hat ursprünglich eine Drogistenlehre abgeschlossen, soziale Arbeit und Theologie studiert und sich letztendlich den Naturwissenschaften gewidmet.
Im Garten auf der Rückseite des Fachwerkdoppelhauses (erbaut 1822 und um 1860) hat man einen großartigen Blick auf die Pfarrkirche. Die Theologie, aber auch ein großes Interesse an Handwerk haben Reineke immer wieder zur Schaffung kleiner Kunsthandwerke inspiriert. Aus alten Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen aus längst vergangenen Tagen und einstiger Gewerke entlang der Wilhelmstraße schuf der Wadersloher immer wieder Skulpturen. Viele mit religiösen Anspielungen. „Es ist der Respekt vor Dingen, die älter sind, die mich dazu bewegen, aus dem Schrott mit Fantasie etwas Neues zu schaffen“, so der Hobbykünstler. Die Werke sollen zum Nachdenken anregen. Aus alten Sägen wird so eine Himmelsleiter, aus längst verstumpften Fleischermessern ein Kunstwerk.
„Mir kamen da viele Gedanken“, erzählt Ernst Reineke, „wer hat früher einmal in der Wilhelmstraße gelebt, welche Spuren haben diese Personen hinterlassen? Nicht nur bei der Gestaltung der Häuser haben die Menschen schon früher auf die Schönheit geachtet. In unserer Straße gibt es immer noch einen Friseursalon und im Gespräch mit älteren Nachbarn habe ich erfahren, dass man hier in der Nachbarschaft auch früher schon auf das Äußere geachtet hat“, schmunzelt Reineke und erwähnt den Salon Strunk, den Salon Mölders und Winterkamp (Schomacher).
Aus vielen der Werkzeuge der einstigen Handwerksbetriebe in der Nachbarschaft hat Ernst Reineke, der sich selbst als kreativer Querdenker bezeichnet, etwas Neues geschaffen und hält somit die Erinnerung an eine längst vergangene Epoche im Herzen Waderslohs lebendig. Vor allem aber auch wird dem alten Handwerk Respekt gezollt. Direkt vor seinem Haus zeigt Ernst Reineke auf Metallstangen, die sich die Hauswand hochschlängeln. Aus alten Wimpelstangen, die einst für die Kirchenprozession aufgestellt wurden, hat Reineke eine Kirche erschaffen. Als Fundament erkennt man einen Davidsstern. „Das war eines der ersten Werke“, berichtet Reineke und lehnt sich an eine der Straßenabsperrungen. Die Wilhelmstraße und der angrenzende Park sind im Umbruch aber die Wurzeln der Wilhelmstraße bleiben sichtbar. Aus alt wird anders.
Fotos/Text: Benedikt Brüggenthies