Diestedde (mw/bb). Mein-Wadersloh.de steht seit 6 Jahren für Themen rund um Dorf-Kultur-Leben. Das Thema Leben und vor allem auch das Leben im Alter spielt eine wichtige Rolle – auch bei uns in der Großgemeinde. In den vielen Senioreneinrichtungen in Wadersloh, Diestedde und Liesborn leben viele unserer Mitmenschen. Sie haben weitaus mehr zu erzählen und gesehen, als man sich vorstellen kann. In meiner Zeit als Seniorenbetreuer habe ich sehr viele Geschichten gehört und war sehr beeindruckt davon, was diese Menschen zu erzählen hatten.
Mit meiner Kurzgeschichte „Der Knopf“, die auf einer wahren Begebenheit beruht, möchte ich unsere Leserinnen und Leser zum Nachdenken anregen. Schenkt den alten Menschen etwas eurer knappen Zeit, hört ihnen zu und macht einen Spaziergang. Oder nehmt sie einfach mal in den Arm. Habt ihr selbst auch eine Geschichte erlebt, die euch berührt und nachdenklich gestimmt hat? Dann schreibt mir gerne eine Mail oder kommentiert unseren Facebook-Beitrag zu diesem Thema.
Der Knopf – Eine Kurzgeschichte
Als ich vor einigen Jahren als Altenbetreuer in unserem örtlichen Seniorenheim tätig war, lernte ich eine kleine, zierliche Dame kennen. Sie war 92 Jahre alt und war sehr zurückhaltend. Sie sprach nur wenig und ich machte es mir in den nächsten Monaten zur Aufgabe, mehr über diese Frau zu erfahren. Sie liebte lange Spaziergänge. Auch wenn sie auf den Rollator angewiesen war und nicht mehr so schnell wie früher war („Die Räder laufen nicht mehr so gut“ – sie meinte ihre Füße), merkte ich, wie die Lebensenergie zurückkehrte. Sie teilte sich das Zimmer mit einer anderen Dame und war sehr verschlossen. Trotz ihrer 92 Lebensjahre blühte sie auf, lachte plötzlich jeden Tag und freute sich über die Zeit, die ich ihr schenkte. In ihren Augen war dann ein Leuchten und ab und zu verdrückte sie sich sogar eine Freudenträne. Und all das nur, weil ich ihr ein paar Minuten meiner täglichen Aufmerksamkeit schenkte.
Ich war gerührt und auch ich genoss diese besonderen Momente. Die Dame hatte sehr viel erlebt. Sie verlor ihren Geliebten in den Wirren des 2. Weltkrieges und arbeitete fortan ihr Leben lang als Schneiderin. Sie heiratete nie und schenkte ihre Liebe von da an ihrer Schwester – die sie sehr oft erwähnte- und ihrer täglichen Arbeit. Das Nähen schenkte ihr unermesslich viel Freude. Mit zunehmendem Alter und dem Nachlassen der Sehkraft konnte sie ihrer Leidenschaft nicht mehr nachgehen. Aufgrund des schlechter werdenden Gesundheitszustandes musste sie ihr Zuhause verlassen und in das Seniorenheim umziehen. Hier kannte sie niemanden und zog sich weiter zurück.
Als ich dann eines Tages durch ihre Zimmertür hereinspazierte und sie mir ein Lächeln schenkte, war das der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Wir unterhielten uns viel über das Leben. Die Schönheit der Natur und den Wert von Menschlichkeit.
Irgendwann kam ich mit einem älteren Hemd in die Einrichtung. Unachtsam wie ich war, merkte ich nicht, dass einer der Knöpfe fehlte. Ich versuchte das geschickt zu verbergen. Aber Maria entging dieser Fauxpas natürlich nicht. „Das geht doch nicht. Wenn das die anderen sehen?!“ – Ihr Ehrgeiz war gepackt und sie kramte in ihrer Nachttischschublade nach einem kleinen Gegenstand. Es war eine kleine Sticknadel mit Öse. „Du musst mir kurz helfen“, sagte sie, „das mit dem Einfädeln gelingt mir nicht mehr so gut wie früher!“ Ich nahm den Faden und versuchte mein Glück. Im dritten Anlauf klappte es dann auch. Maria brauchte nur wenige Sekunden und ich hatte zumindest einen Ersatzknopf und sah wieder vorzeigbar aus.
Am Tag darauf hatte ich eine kleine Nadel und einen Knopf dabei. Beides hatte ich aus dem Schreibtisch meiner Mutter genommen und den Vorsatz gefasst, lernen zu wollen, wie man einen Knopf annäht. Meine Ersatz-Oma war mehr als gerührt und erneut huschten ihre kleinen vom Alter gezeichneten Hände zu der Schublade und sie holte ein kleines Stück Stoff heraus. „Das hier nehmen wir jetzt zum Üben“, sagte sie voller Aufregung und setzte sich an den Tisch in der kleinen Wohnung. Ich musste gegenüber Platz nehmen und es dauerte keine Stunde (ich würde niemals verraten, dass es fast zwei waren), bis ich die Fingerfertigkeit erlernte und voller Stolz meinen ersten Knopf angenäht hatte. Das kleine Stück Stoff mit dem schwarzen Knopf war fortan mein Glücksbringer und jedes Mal, wenn ich meine besondere Freundin im Seniorenheim besuchte, zeigte ich glücklich das kleine Kunstwerk vor. Die 92-jährige Dame lächelte, nahm meine Hand, drückte sie und sagte: „Danke, dass du mich um Rat gefragt hast. Das macht mich sehr glücklich. Ich wollte mein Wissen so gerne weitergeben.“ Ich erwiderte die netten Worte und verlas das Seniorenheim mit einem guten Gefühl.
An einem verregneten Arbeitstag – ich war schon einige Monate nicht mehr in der Einrichtung – bekam ich einen Anruf der Einrichtungsleitung. „Die Maria ist gestern verstorben. Es war ihr Wunsch, dass wir dich informieren.“ Auf der Beisetzung unter einem großen Laubbaum auf dem Friedhof im Nachbarort, hatte ich meinen dunklen Mantel an. Der mittlere Knopf etwas locker. Ich griff in meine Innentasche und fühlte den schwarzen Knopf auf dem kleinen Stück Stoff. „Maria sei Dank“, dachte ich leise, „weiß ich, was ich jetzt zu tun habe.“
Hast du schon mal eine ähnliche Geschichte erlebt und bist einem Menschen begegnet, der deine Ansichten verändert hat oder von dem du sehr beeindruckt warst? Dann erzähle mir deine Geschichte und lass‘ uns daran teilhaben. | E-Mail an uns
Text/Foto: Benedikt Brüggenthies