„Guten Morgen, was darf es heute sein?“ – Fast 25 Jahre lang hat Karola Rienow tagtäglich diesen Satz zu den Kunden im Lebensmittelgeschäft Nienaber gesagt. Letzte Woche begrüßte sie die Kunden ein letztes Mal. Vier Wochen hätten gefehlt, dann wären ihre 25 „Dienstjahre“ in Diestedde voll gewesen. 137 Jahre lang war das Lebensmittelgeschäft Nienaber ein besonderer Treffpunkt in Diestedde. Nächsten Monat ist Schluss damit. Denn dann gehen hier für’s Erste die Lichter aus und die Kühltruhen werden abgestellt. Seit Montag sind die Schaufenster mit großen Transparenten beklebt: „Rabattaktion wegen Geschäftsaufgabe“. Mit der Schließung von Nienaber verliert Diestedde den letzten von ursprünglich sieben Lebensmittelläden und damit auch ein Stück seiner Geschichte.
In dem heutigen Leerstand der an dem Ladenlokal angrenzt („Alte Post“) befand sich damals die erste Bäckerei mit dem Namen Nienaber. Das war im Jahre 1876. Seitdem gab es fünf Besitzer mit dem Namen Bernhard Nienaber. Viele ältere Diestedder erinnern sich bis heute an die Zeit, als Bernhard Nienaber Senior früh morgens aus der alten Bäckerei die Frühstücksbrötchen aus dem Fenster im zweiten Stock nach unten reichte und die Frühaufsteher im Gegenzug das Geld nach oben gaben. Auch für die Schulkinder lag der Lebensmittelladen strategisch günstig auf dem Nachhauseweg. Schnell noch eine Tüte Gummibärchen oder ein Eis auf die Hand – das gehört seit Jahrzehnten für die Schulkinder im Nikolausdorf dazu. Am 4.März 1982 übernahm der jetzige Inhaber den Familienbetrieb von seinem Vater. Bernhard Nienaber investierte in seinen Laden und konnte am 4. Februar 1998 nach umfassender Renovierung und Vergrößerung den Lebensmitteladen eröffnen wie man ich heute kennt.
Für viele Diestedder ist das Geschäft Nienaber ein fester Bestandteil des Dorfes: „Mein Geschäft ist das Letzte von sieben Lebensmittelläden in Diestedde“, bedauert Bernhard Nienaber die Schließung des Familienbetriebs. Einen Nachfolger in der Familie gibt es nicht. Sohn Jonas geht noch zur Schule und möchte etwas mit Sport oder Hotel studieren. Sein Bruder Bernd beginnt in Kürze eine Ausbildung in einer anderen Branche. So endet mit Bernhard Nienaber Nummer fünf die Ära Nienaber in Diestedde. Viele Kunden kommen seit Montag zum Ausverkauf. Die Regale werden nach und nach immer leerer. Die großen orangenen Buchstaben „Bäckerei Nienaber“ am Eingang werden den Diesteddern in Zukunft sicher fehlen. Auch Karola Rienow wird fehlen: „Während meiner letzten Arbeitstage kam ein Kunde in den Laden und sagte zu mir: ‚Nienaber ohne Sie? – Das geht doch gar nicht. Sie sind doch hier ein Urgestein‘ – Über das Kompliment habe ich mich sehr gefreut“, sagt Rienow. „Am meisten werden mir die Schulkinder und die netten Gespräche mit den Leuten fehlen. Ich habe 1988 schon meine Ausbildung bei Nienaber gemacht. Man kannte die Leute und es herrschte eine persönliche, fast familiäre Atmosphäre. Zeitweise waren wir bis zu zwölf Mitarbeiter in dem Laden. Zuletzt war ich die einzige verbliebene Vollzeitkraft. Vielen Kunden habe ich schon während ihrer Schulzeit Süßigkeiten verkauft, später waren es dann deren Kinder, die an der Kasse anstanden“, so die Verkäuferin.
Der Geschäftsbetrieb soll voraussichtlich bis Ende Juli weiterlaufen. „Ich schließe den Laden morgens noch solange auf, bis er leer ist“, sagt Nienaber. Mögliche Interessenten für eine Nachfolge gäbe es. Momentan laufen die Verhandlungen noch. Zu einem möglichen Zukunftskonzept für den Lebensmittelladen ab August wollte sich der Geschäftsmann daher noch nicht weiter äußern. Auf jeden Fall weiter geht es für die beiden ehemaligen Angestellten Karola Rienow und Heike Martin. Beide haben inzwischen eine neue Beschäftigung in Wadersloh und Lippstadt gefunden. Ganz ohne Wehmut geht Rienow nicht: „Die Freundlichkeit der Diestedder Kunden wird mir fehlen“, so die Einzelhandelskauffrau. Und fehlen wird auch die „Bäckerei Nienaber“ in Diestedde.